Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)

Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)

Titel: Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Reid
Vom Netzwerk:
zu vertrauen« –, doch dies konnte ihm nicht helfen. 27 Er wurde seinerseits am 27. Oktober verhaftet und zu Popkow und Kusnezow in ein von Malenkow eingerichtetes Sondergefängnis geschickt. Im September 1950 fand eine geschlossene Verhandlung im Gebäude des ehemaligen Offiziersclubs am Liteiny statt. Kusnezow weigerte sich, ein Geständnis abzulegen, und wurde auf der Stelle hingerichtet – laut Chruschtschow »auf grässliche Art, mit einem Haken im Nacken«. 28 Wosnessenski könnte man ein wenig länger am Leben gelassen haben, denn es hieß, Stalin habe sich ein paar Monate nach der Verhandlung bei Malenkow erkundigt, was aus dem bekanntermaßen arbeitssüchtigen Chef der Plankommission geworden sei, und schlug vor, ihm einen Posten zu geben. Malenkow erwiderte, das sei unmöglich, denn Wosnessenski sei auf der Ladefläche eines Gefängnislastwagens erfroren. 29 Zwischen 1949 und 1951 wurden insgesamt 69 mit Leningrad verbundene Parteifunktionäre – sowie 145 ihrer Verwandten – hingerichtet, inhaftiert oder in die Verbannung geschickt. Am wenigstens Mitleid verdiente P.N. Kubatkin, der Leiter des Leningrader NKWD. Die üblichen nach seiner Verhaftung aufgenommenen Polizeifotos – von vorn und im Profil von rechts – zeigen ihn abgemagert und zerzaust, genau wie Tausende seiner Opfer während des Krieges.
    Die »Leningrader Affäre«, die unter hoher Geheimhaltung abgewickelt wurde, ist bis heute ziemlich rätselhaft. Die Vorwände dafür, die Stalin von Malenkow eingeflüstert worden sein sollen, besagten, Wosnessenski habe Produktionsziffern gefälscht. Zudem habe die Leningrader Partei ohne Moskauer Genehmigung eine Agrarhandelsmesse angesetzt. Doch in Wirklichkeit war die Affäre wohl eine Folge der Anspannung, die mit dem Kalten Krieg einherging – 1949 war das Jahr der Berliner Luftbrücke, der Gründung der NATO und der ersten sowjetischen Atombombe –, hinzu kam Stalins Furcht vor möglichen Rivalen. Vielleicht hatten ihn das Gerede über eine in Leningrad ansässige Russische Kommunistische Partei (im Gegensatz zur Allunionspartei) und der Freundschaftsbesuch einer Delegation aus Titos unabhängig gesonnenem Jugoslawien nervös gemacht. 30 Revisionisten halten dagegen, die Säuberung sei eine geschickte Machtdemonstration gewesen, die Stalins Souveränität untermauert und ein Gleichgewicht zwischen den Kreml-Fraktionen hergestellt habe. Überzeugender ist die konventionelle Ansicht, dass es sich schlicht um eine der letzten Zuckungen eines alternden, paranoiden Geistes handelte.
    Parallel zur »Leningrader Affäre« erklärte Stalin, wiederum ermutigt von Malenkow und Berija, einen unionsweiten »Krieg gegen den Kosmopolitismus«. Die Nutzung traditioneller Werte in den Kriegsjahren – etwa die Rückkehr militärischer Dienstgrade und Rangabzeichen, die Benennung von Orden nach Suworow und Newski – schlug nun in eine boshaft antiwestliche Haltung um. Es war die Zeit der verrückten Pseudogenetik, des »städtischen« statt des »französischen« Brotes und der Prahlerei, dass Russen Radio, Flugzeug und Glühbirne erfunden hätten. Menschen mit Beziehungen ins Ausland oder jüdischen Familiennamen verschwanden täglich (»Früher war es eine Lotterie«, scherzte einer, »inzwischen ist es eine Schlange«), 31 und an der Leningrader Universität kam das Personal erneut zusammen, um Kollegen des »Formalismus«, des »bourgeoisen Subjektivismus« oder der »Verbeugung vor dem Westen« zu bezichtigen. »Sämtliche Professoren«, schrieb Olga Freudenberg über ihre philologische Fakultät,
    mussten sich schändlich bloßstellen. Die einen, wie Schirmunski, machten das elegant und geschickt … [Doch] Professor Tomaschewski, der bekannte Puschkin-Forscher, ein beherrschter Mann, noch nicht alt …, sehr gelassen, mit einem zupackenden Verstand und ohne Sentiments – er trat nach der moralischen Exekution auf den Korridor der Akademie und fiel dort in Ohnmacht. Der Folklorist Asadowski, ein entkräfteter und herzkranker Mann, verlor mitten in der Sitzung das Bewußtsein und wurde hinausgetragen.
    Nach einer Berechnung verloren bis 1951 so viele Juden in der Sowjetunion den Arbeitsplatz, dass sie nun weniger als vier Prozent aller höheren Regierungs-, Wirtschafts-, Medien- und Universitätsämter bekleideten – im Gegensatz zu zwölf Prozent im Jahr 1945. 32 Das Opfer, das am meisten Aufmerksamkeit erregte, war Molotows luxusliebende dreiundfünfzigjährige Frau Polina, ehemals

Weitere Kostenlose Bücher