Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)
lehmig, an anderen aber von der Dürre hart wie Stein ist.« 14
Ihre Skepsis war berechtigt. Mädchen gruben im Badeanzug und klebten sich Papierfetzen an die Nase, um Sonnenbrand zu verhindern. Auf Nachtmärschen ließen sie ihre schweren Schaufeln fallen, oder sie mussten mit blasenbedeckten Händen und Füßen nach Hause geschickt werden. Die Bäuerinnen, die Kascha für sie kochten und Stroh zum Schlafen für sie ausbreiteten, spöttelten über die »Dämchen aus der Stadt«, und die Aufsicht führenden Männer riefen: »Glaubt ihr, ihr seid Schauspielerinnen, die in einen Kurort gekommen sind? Ihr seid hier, um das Heimatland zu retten!« Die anfängliche Begeisterung der Mädchen schwand bald dahin. »Was haben wir denn Ihrer Meinung nach getan – Krocket gespielt?«, platzte eine heraus, als ihr Marxismus-Leninismus-Professor während eines Besuchs wissen wollte, ob sie müde seien. 15
Schmal, uneinheitlich und an manchen Stellen schon überrollt, bevor man sie richtig in Betrieb genommen hatte, war die Luga-Linie gleichwohl der Ort, an dem die Wehrmacht auf ihr erstes, wenn auch befristetes Problem stieß. Von Moskau aus befahl Schukow der Nordwestlichen Armeegruppe am 4. Juli, die Luga-Linie zu besetzen, und die ersten Verteidigungsdivisionen gingen am selben Tag in Stellung. Am 10. Juli, als die Stationierung und die Grabungen noch nicht abgeschlossen waren, erhielt Woroschilow von Schukow die Order, einen Gegenangriff gegen Mansteins 8. Panzerdivision zu führen, die sich in einer exponierten Lage befand, als sie nach der Eroberung von Solzy, nordwestlich des Ilmensees, weiter nach Osten vorgestoßen war.
Inzwischen wurde der »Blitzkrieg« bereits durch das Terrain und die Witterungsverhältnisse gebremst. Die Motoren zerschlissen sich durch den Staub, Brücken waren nicht kräftig genug für das Gewicht von Panzern, und wenn man von den Hauptstraßen abbog, war es laut einem deutschen Offizier, »als kehre man aus dem zwanzigsten Jahrhundert ins Mittelalter zurück«. Auch konnte die Wehrmacht sich nicht auf ihre Karten verlassen. Durch Sommergewitter wurde der Staub zu Schlamm, passierbar für Panzer, nicht jedoch für die Lastwagen, die Treibstoff, Vorräte und Hilfstruppen beförderten. »Ein ein- oder zweistündiger Regen verurteilte die Panzerverbände zum Stillstand. Es war ein ungewöhnlicher Anblick: Gruppen davon, auf Hunderte von Kilometern auseinandergezogen – und alles festgefahren, bis die Sonne herauskam und den Boden trocknete.« 16
Der sowjetische Gegenschlag, eingeleitet bei 32 Grad Hitze am 13. Juli, überrumpelte die 8. Panzerdivision, trennte sie von einer motorisierten Infanteriedivision zu ihrer Linken und nötigte sie zu einer heftigen viertägigen Schlacht, in deren Verlauf sie aus der Luft versorgt werden musste. Obwohl die Krise am 18. Juli vorbei war, kostete sie die Division siebzig ihrer hundertfünfzig Panzer, und sie erzwang eine zehntägige Pause an den Flüssen Narwa und Luga, während Leeb und seine Befehlshaber ihre Kräfte neu organisierten und über ihre nächsten Schritte nachdachten. Allerdings war es keineswegs der überzeugende Sieg, den Moskau sich gewünscht hatte. Zu diesem Zeitpunkt bewegten sich die Leningrader Führer, wie sie zweifellos einsahen, gefährlich nahe auf das Schicksal General Pawlows von der Westlichen Armeegruppe zu, der in der ersten Kriegswoche verhaftet worden war und nun zusammen mit seinen Untergebenen auf die Hinrichtung wartete. Als Opferlamm der Nordwestfront diente der Chef der Luga-Operationsgruppe, General Konstantin Pjadyschew, ein angesehener und erfahrener Spezialist für Militärbefestigungen und Inhaber von zwei Orden des Roten Banners. Damals verschwand er von einem Moment zum anderen, doch wir wissen nun, dass er am 23. Juli von seinem Befehlshaber, General Popow, wegen Pflichtversäumnis verhaftet wurde und zwei Jahre später im Gefängnis starb. Eine Woche darauf kamen Schdanow und Woroschilow mit einer Vorladung nach Moskau und einer Zurechtweisung durch Stalin wegen »mangelnder Härte« davon. 17
In Leningrad nahm die Besorgnis zu. Zwei Fragen schoben sich in den Vordergrund: Würde eine weitere Hungersnot, wie die während des Bürgerkriegs von 1920/21, ausbrechen? Und: Sollte man die Stadt verlassen oder nicht?
Der Abtransport von Wertgegenständen und Verteidigungsanlagen aus der Stadt hatte sofort nach der Nachricht vom Überfall begonnen – nicht, weil man mit einer Belagerung, sondern weil man mit
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