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Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)

Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)

Titel: Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Reid
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sie sehr erregt, das verschweige ich nicht …
    … jetzt zwingen uns die Ereignisse an der Front, an Evakuierung zu denken. Ich glaube, ein Abtransport mit der Eremitage wird das sicherste sein. Doch mir blutet das Herz. Ich bin ganz zerschlagen nach Hause gekommen.
    Eine Woche später waren die kostbarsten Manuskripte der Akademie an der Reihe.
    Insgesamt haben wir 30 Kisten gepackt und dabei alles getan, damit Feuchtigkeit oder Staub nicht eindringen können (Ruberoid, Zellophan, Wachstuch, Pappe, Papier). Das ganze Personal des Archivs hatte zwei Wochen damit zu tun. Über den Inhalt der Kisten wurden genaue Verzeichnisse angelegt, die Kisten dann mit Draht verschnürt und plombiert.
    Ich habe dem Lastwagen durchs Tor hinaus bis zur Uferstraße nachgeblickt. So verabschiedet man einen lieben Verwandten: Sohn, Tochter, Frau. Lange habe ich zugesehen, wie der Wagen langsam über die Schloßbrücke fuhr (ich hatte den Fahrer gebeten, vorsichtig zu sein). Ganz verlassen kam ich mir vor, als ich ins Archiv zurückkehrte. 20
    Weitere 360000 Artikel – darunter eine Gutenberg-Bibel, Puschkins Briefe, das Gebetbuch Maria Stuarts, der Königin von Schottland, und der zweitälteste noch erhaltene griechische Text des Neuen Testaments – verließen die Öffentliche Staatsbibliothek, zärtlich als »Publitschka« bezeichnet, am Newski-Prospekt.
    Jelena Skrjabina und Jelena Kotschina, beide berufstätige Mütter, gehörten zu den vielen, die unter dem Zwiespalt litten, entweder mit ihren Kindern und Kollegen evakuiert zu werden oder mit ihrem Ehemann und ihren alten Eltern zurückzubleiben. »Auf den ersten Blick scheint sich alles glücklich zu fügen«, schrieb Skrjabina am 28. Juni,
    doch gleichzeitig ist auch ein überaus ernsthaftes Problem aufgetaucht. Ich kann die Kinder mitnehmen, aber meine Mutter und die alte Kinderfrau müßte ich hierlassen. Mit dieser Nachricht kehrte ich nach Hause zurück. Meine Mutter brach in Tränen aus, sie erschrak vor dem Gedanken, wir könnten uns auf diese Weise für immer trennen. Auch die Kinderfrau ist niedergeschlagen, aber sie schweigt. Ich bin wirklich zwischen zwei Feuer geraten. Einerseits verstehe ich nur zu gut, daß man die Kinder retten muß – aber andererseits tun einem die hilflosen Alten leid. Darf man sie denn so einfach ihrem Schicksal überlassen?
    Wie viele andere hatte sie ein gewisses Vertrauen zu der beschwichtigenden Propaganda:
    Ich kann es nicht glauben, daß Leningrad hungert. Wird uns doch laufend eingeschärft, daß kolossale Lebensmittelvorräte vorhanden seien, die angeblich über Jahre hinaus reichen sollen. Und was die Gefahr einer Bombardierung Leningrads angeht, hören wir doch tagaus, tagein von der Überlegenheit unserer Fliegerabwehr, davon, daß die Stadt gar nicht beschossen werden kann. Wenn diese Versicherungen wenigstens zur Hälfte wahr sind, weshalb soll man dann ins Ungewisse fliehen?« 21
    Ähnlich beruhigend war paradoxerweise der Beginn der Rationierung am 18. Juli. Mit täglich 800 Gramm Brot für Arbeiter, 600 für Angestellte und 400 für Familienangehörige sowie stattlichen Monatszuteilungen von Fleisch, Getreide, Butter und Zucker war das Rationierungsniveau großzügig (»Dies ist nicht so schlimm, davon kann man leben«, schrieb Skrjabina 22 ). Für bedürftige Familien lief es sogar auf eine bessere Ernährung hinaus. Am selben Tag wurden 71 neue »Kommissionsläden« eröffnet, die nichtrationierte Lebensmittel in unbegrenzter Menge, wenn auch zu hohen Preisen, anboten. Obwohl sie für viele unerschwinglich waren, besonders angesichts der neuen Beschränkungen beim Abheben von Ersparnissen, trugen die üppigen Schaufensterauslagen dazu bei, falsche Zuversicht zu verbreiten. »Wenn man ein Schaufenster voller Lebensmittel sieht«, dachte Skrjabina, »neigt man nicht dazu, dem Gerede über eine bevorstehende Hungersnot Glauben zu schenken.« Kotschina war weniger sorglos und beeilte sich, die viereinhalb Pfund Hirse zu kaufen, die in ihrem örtlichen Kommissionsladen übrig geblieben waren (»Ich hasse Hirsebrei.«). Sie wäre mit ihrem Chemie-Institut nach Saratow aufgebrochen, hätte ihr Mann keine Einwände gehabt und wäre ihr Töchterchen nicht krank gewesen: »Lena hat Durchfall und Fieber. Wir werden die Evakuierung ein paar Tage hinausschieben müssen. Und überhaupt, wie sterilisiert man unterwegs Babyflaschen?« 23 Am 1. August hielt sich Skrjabina immer noch in Puschkin auf und tat ihr Bestes, um den Krieg zu

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