Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)
Armee leitete ihre Offensive am 19. August ein. Geschosse krachten auf das Pflaster der Gassen und die steilen roten Ziegeldächer der Altstadt, auf die Sommerhäuser mit ihren Schindeldächern und die mit Zelttuch umgebenen Badekarren am Strand von Pirita. Die Kanonen der Kirow schossen orangefarbene Blitze von dem Ankerplatz im Hafen zurück. Die Zivilisten der Stadt schauten zu und warteten hinter verschlossenen Läden und verbarrikadierten Türen. Nach einwöchiger Bombardierung beschrieb Tribuz’ Stellvertreter, Admiral Juri Pantelejew, die Situation in seinem Kriegstagebuch:
Nachts starker Feindangriff gegen die Stadt abgewehrt. Feind verändert Taktik; dringt mit kleinen Stoßtrupps ein … Alle Flugplätze vom Gegner genommen. Unsere Flugzeuge nach Osten abgeflogen. Flotte und Stadtgebiet werden bombardiert und mit Artillerie beschossen. Das schöne Pirita brennt … Auch andere Vorstädte brennen. Große Brände in der Stadt. Auf den Anmarschwegen zum Hafen Barrikaden und Hindernisse errichtet. Überall Rauch … Feuerkraft der Schiffe und Küstenbatterien hat nicht nachgelassen. Unser Gefechtsstand im Minna-Hafen liegt ständig unter Feuer. 29
Später an jenem Morgen erlaubte Stalin endlich, die Flotte nach Kronstadt, dem historischen russischen Insel-Marinestützpunkt oben am Finnischen Meerbusen, zu evakuieren. Während die Verteidiger langsam zum Hafen zurückwichen, wobei sie ein Kraftwerk, Getreidespeicher und Lagerhäuser anzündeten, begann die Einschiffung der Zivilisten, die die Flotte begleiteten: der Offiziersfrauen, der Parteifunktionäre, einer Theatertruppe und hoher estnischer Kommunisten, darunter der Präsident der estnischen Marionettenregierung. Der extravagante Kriegskorrespondent Wsewolod Wischnewski setzte sich am Kai in Szene, indem er verlangte, dass sein Chauffeur nicht einfach nur den Vergaser seines Autos entfernte, sondern das Fahrzeug mit einer Handgranate in die Luft sprengte. Die Einschiffung der Soldaten begann am folgenden Tag. In den frühen Morgenstunden des 28. August waren schließlich fast 23000 Menschen und 66000 Tonnen Nachschub auf eine bunte Ansammlung von 228 Schiffen geladen worden, die außerhalb der Hafenmündung vier Geleitzüge bildeten. 30
Den Morgen des 28. August hindurch lagen die Schiffe auf Reede und schlingerten in einem Sturm von Windstärke 7 an ihren Ankern. Gegen Mittag ließ der Wind nach, und das Signal zum Aufbruch wurde gegeben. Auseinandergezogen über vierundzwanzig Kilometer, hatten die Konvois eine wenig beneidenswerte Aufgabe. Ihre Pendants bei Dünkirchen vierzehn Monate zuvor hatten durch Gewässer, die von der Royal Navy kontrolliert worden waren, achtzig Kilometer zurücklegen müssen. Tribuz’ Schiffe dagegen sollten dreihundertfünfzig Kilometer hinter sich bringen, und auf den ersten zweihundertzwanzig würden sie Angriffen durch Küstenbatterien, U-Boote und finnische Torpedoboote ausgesetzt sein. Zudem wimmelte es auf der Route von feindlichen Minen – »wie Knödel im Borschtsch«. Wenigstens einhundert Minenräumer, schätzte der Befehlshaber der Roten Flotte Admiral Kusnezow im Nachhinein, wären erforderlich gewesen, um eine sichere Überfahrt zu garantieren. Tribuz besaß jedoch nur 38 Minenräumer, zumeist umgebaute Fischdampfer. Auch besaß die Flotte keine Luftsicherung, obwohl man Schdanow in letzter Minute um Hilfe gebeten hatte. Doch dieser erteilte seine Befehle, wie Kusnezow klagte, »mit großer Verzögerung«.
Seit der Abfahrt von Tieffliegern des Typs Junkers Ju 88 attackiert, stießen die Konvois um 18 Uhr bei Kap Juminda, fünfundsechzig Kilometer östlich von Tallinn, auf das erste große Minenfeld. Um 18.05 Uhr ging die Ella , ein estnisches Handelsschiff, unter. Ein Schlepper aus dem vierten Geleitzug traf, während er Überlebende der Ella rettete, ebenfalls auf eine Mine und sank fünfzehn Minuten später. Zehn Minuten danach wurde ein Eisbrecher, die Kristjanis Woldemars , durch Bomben versenkt. Die Wironia , die Zivilisten beförderte, trug während desselben Luftangriffs Schäden davon und musste von der Saturn ins Schlepptau genommen werden. Nun weniger geordnet, dampften die Konvois in einem Zickzackkurs nach Osten, um die Junkers und das Feuer der Batterien am Kap zu umgehen. Die Kriegsschiffe waren zu sehr davon in Anspruch genommen, den Angreifern auszuweichen oder sich von Minen zu befreien, als dass sie den Transportschiffen, die keine Flakgeschütze besaßen, viel Schutz hätten leisten
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