Blondes Gift
Kelly Stück für Stück an ihn herangerückt, während Jack versuchte, einen gewissen Abstand zu wahren. Das ging ihm gewaltig auf die Nerven.
»Was?«
»Hör mal, ich schwöre, dass ich nicht abhaue. Du sitzt auf deiner Seite des Sofas, und ich auf meiner. Ich hab einen verdammt harten Tag gehabt, und er ist noch nicht zu Ende. Ich muss das alles erst mal verdauen.«
»Na schön, Jack, dann mach das. Verdau es in aller Ruhe . « Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sie schien verärgert zu sein.
Großartig. Er hatte einer Frau gegenüber Schuldgefühle, die versucht hatte, ihn umzubringen. Nein,
noch besser – die immer noch damit beschäftigt war , ihn umzubringen. Das Gift jagte schließlich nach wie vor durch seine Adern.
Kelly öffnete die Augen. »Pass auf, vergiss alles, was ich dir gesagt hab. Du kannst mir glauben, oder du kannst denken, ich bin verrückt. Du kannst einen Artikel drüber schreiben, oder du kannst abhauen und alles vergessen. Ich bitte dich nur um eins: um eine Nacht. Ich bitte dich. Bleib einfach nur bis morgen früh neben mir im Bett liegen; dann gebe ich dir das Gegengift, und du siehst mich nie wieder.«
Jack sah sie an. Sie wirkte erschöpft. Genau wie er.
»Was, wenn ich das Gegengift aus deiner Tasche nehme, während du schläfst? Woher weißt du, dass ich bleibe?«
»Bis jetzt hast du nicht versucht, so weit zu gehen, Jackie-Boy. Du bist nicht der Typ dafür.«
»Bist du dir da so sicher?«
»Außerdem ist das nicht ganz einfach. Ich habe dir fluoreszierendes Toxin verabreicht. Eine hässliche Sache, wenn es nicht absolut korrekt behandelt wird. Das Gegengift muss schrittweise injiziert werden. Solltest du auf wundersame Weise das Gegengift finden, musst du also auch noch wissen, wie man es dosiert.«
»Fluoreszierendes was ?«
»Ich bin Wissenschaftlerin, Jack. Ich hab Zugang zu jeder Menge gefährlicher Substanzen.«
»Okay, nehmen wir mal an, ich schnapp mir deine Tasche und geh damit zu einem Arzt. Und sag ihm,
was du mir gesagt hast. Dass du mir fluoreszierendes Tox…«
» Toxin. «
»Toxin. Genau. Fluoreszierendes Toxin. Du bist nicht die einzige Wissenschaftlerin, die weiß, wie man mit dem Zeug umgeht.«
»Wie du meinst. Aber wenn du versuchst, den Raum zu verlassen, während ich schlafe, bleib wenigstens einen Moment im Flur stehen, damit du hörst, wie ich sterbe.«
Jack blickte auf die Digitaluhr neben dem Bett: 00.54 Uhr. In weniger als acht Stunden hatte er seine Verabredung.
»Ich brauch einfach eine Mütze Schlaf. Bitte. Lass mich schlafen.«
Schlaf brauchte er auch. Und zum ersten Mal an diesem Abend klang Kelly irgendwie vernünftig. Vielleicht hatte sie sich ein wenig beruhigt, weil sie den ganzen Mist endlich losgeworden war. Jack hatte eine Idee. Und er ertappte sich dabei, wie er sagte: »Okay.«
Kelly beugte sich zu ihm und küsste ihn auf die Wange. Instinktiv drehte er ihr das Gesicht zu und konnte sich gerade noch zurückhalten. Jesus. Für einen Moment hatte er sie für Theresa gehalten. Er hätte sie fast auf den Mund geküsst.
Aber selbst wenn Jack sich nicht zurückgehalten hätte, ihre ruckartige Bewegung hätte genügt. Sie schreckte zurück, als hätte er ihr einen Elektroschock verpasst.
»Du möchtest mich nicht wirklich küssen.«
»Hatte ich nicht vor.«
Das war das wirklich Letzte, woran er dachte, und zwar aus einer Reihe von Gründen – unter anderem, weil er normalerweise keine Leute küsste, die versucht hatten, ihn umzubringen. Aber jetzt, wo sie es erwähnt hatte … war das natürlich alles, woran er jetzt noch denken konnte. Sie zu küssen.
»Glaub mir, Jack. Das ist keine gute Idee. Hast du die Mary Kates vergessen?«
»Ich hatte nicht vor, dich zu küssen.«
»Stell dir einfach vor, ich hätte eine Erkältung. Eine sehr schlimme Erkältung. So funktionieren die verdammten Dinger nämlich.«
»Okay«, sagte Jack, während er auf ihre Lippen starrte. Ihre ungeschminkten, vollen, weichen Lippen. Sie wandte sich ab und legte den Kopf auf seine Schulter.
»Du weißt nicht, wie lange ich darauf gewartet habe, dass mir jemand glaubt. Jemand, der mich nicht für verrückt hält. Wenn ich nicht mit diesen tödlichen Nanomaschinen infiziert wäre, würde ich dir aus lauter Dankbarkeit einen blasen.«
Jack wusste nicht, was er darauf sagen sollte. »Ähm, danke.«
Ihr Körper fing an zu zittern, als hätte sie angefangen zu weinen.
Aber das tat sie nicht. Sie lachte.
»Was denn?«
»Ich bin froh,
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