Blondes Gift
dass ich nicht zu Plan B greifen musste. Da hättest du wirklich einen falschen Eindruck bekommen.«
»Plan B?«
»Handschellen.«
00:55 Uhr
Hinter dem Haus in der Edison Avenue
N icht gut, gar nicht gut. Schon erfüllten überall die blinkenden roten Lichter der Feuerwehrautos den Nachthimmel. Es würde nicht lange dauern, bis die Polizei anfing, die nähere Umgebung nach Überlebenden abzusuchen. Und es würde nicht lange dauern, bis die Nachbarn das Licht anknipsten und vor die Haustür traten, um rauszufinden, was verdammt noch mal um ein Uhr morgens hier los war.
Und das Baumhaus war leer.
Seine Tasche war weg.
Nirgendwo war auch nur eine Menschenseele zu sehen. Die Tasche hatte nicht lange genug da rumgelegen, als dass sie jemand »zufällig« entdeckt haben konnte. Wie lange war er weg gewesen? Drei Minuten? Vier – höchstens. Was zum Teufel war passiert? Waren Eds abgeschlagenem Kopf grüne pelzige Spinnenbeine
gewachsen, und er hatte einen Spaziergang gemacht?
In den Häusern, die über die Anhöhe verteilt waren, gingen die Lichter an. Und in diesem Moment bemerkte Kowalski aus den Augenwinkeln das gegenüberliegende Haus. In dem das Licht soeben ausging.
Innerhalb weniger Sekunden fügte sich alles zusammen.
Er hatte jetzt echt keine Zeit für so was.
Dreißig Sekunden später stand Kowalski im Wohnzimmer des dunklen Hauses und starrte einen Typen an, der seinerseits die Adidas-Tasche auf seinem Esstisch anstarrte. In der schummrigen Beleuchtung wirkte er wie ein junger arbeitswütiger College-Professor, der die Nächte durchmachte, um Arbeiten zu korrigieren und in seinen freien Momenten an einem Roman herumzubasteln. Seine Haare sahen aus, als käme er gerade aus dem Bett, auch wenn er eine Jeans anhatte, und ein Hemd, das für sein Alter eine Spur zu eng saß. Der Typ war völlig fasziniert von der Tasche – womöglich spielte er mit dem Gedanken, den Roman aufzugeben, denn vermutlich war das hier ja eine Tasche mit Diebesgut. Leuchtete doch ein. Wer sonst würde eine Tasche in einem Baumhaus verstecken, außer einem Dieb. Auf den Professor wartete allerdings eine kleine Überraschung. Kowalski dachte kurz daran zu warten, bis der Typ die Tasche öffnete, bevor er etwas sagte. Na los, Kumpel. Schreib darüber einen Roman. Doch all diese unschuldigen
Opfer fingen an ihn zu beunruhigen. Einen weiteren Toten konnte er wirklich nicht gebrauchen.
Nicht heute Nacht.
»Ähem.«
Der Typ zuckte zusammen und blieb dann wie angewurzelt stehen. Nur seine Augen bewegten sich.
»Ich bin hier drüben, siehst du mich?« Kowalski winkte.
Der Professor nickte langsam.
»Die Tasche gehört dir nicht. Sie enthält weder Bargeld noch Schmuck oder irgendwas, was für dich von Wert wäre. Geh ein paar Schritte zur Seite, lass mich die Tasche nehmen, und ich bin fort. Alles kein Problem.«
»Woher weiß ich, dass sie dir gehört?«
»Weil ich es sage. Und einem Mann, der eine Halbautomatik auf deinen Bauch gerichtet hat, solltest du immer glauben.«
Kowalski hatte natürlich nichts in der Art irgendwohin gerichtet.
Die Stimme des Mannes krächzte: »Ich will meinen Anteil.«
»Von was?«
»Was ist in der Tasche? Du kannst bestimmt was davon abgeben. Betrachte es als Besitzsteuer. Ich weiß genau, wie das bei euch nach einem Raubüberfall läuft.«
»Du brauchst nichts aus der Tasche.«
»Und du hast keine Pistole. Du würdest dich nie mit dem Geld und der Waffe schnappen lassen. Das gibt
zwanzig Jahre zusätzlich. Das ist die Mindeststrafe. Du hast die Pistole weggeworfen, als du mit dem Job fertig warst.«
Der Typ war wirklich ein stures Arschloch. Und eindeutig ein College-Professor, der glaubte, er könnte seinen Verstand durch die Gegend schleudern wie einen Vorschlaghammer. Der glaubte, er sei zu clever, um geschnappt zu werden. So spät noch auf – da hatte er bestimmt an einem Cappuccino genippt, während ihm ganz erstaunliche Gedanken durch den Kopf gingen, und dann hatte er gesehen, wie Kowalski die Tasche im Baumhaus versteckte.
»Hast du keine Angst um deine Kinder? Denn wenn ich dich umbringe, sind sie als Nächstes dran.«
»Wie kommst du darauf, dass ich Kinder habe?«
»Kurz bevor sie sterben, sage ich ihnen, dass ihr Daddy das zugelassen hat.«
»Ach, das Baumhaus, stimmt’s? Das war schon hier, als ich das Haus gekauft habe. Ich hab keine Kinder, Arschloch. So wenig, wie du eine Pistole hast.«
Kowalski hätte es völlig gereicht, sich die Tasche zu schnappen und den Typen
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