Blondes Gift
Entscheidung. Denn bald war es zu spät für irgendwas. Er musste sich konzentrieren. Entweder zu Angela gehen und sie anflehen … beschwören … bitten … was auch immer … irgendwo mit ihm zu reden, an irgendeinem Ort, wo er vielleicht bis zum Morgen bleiben konnte, um dann eine Regierungsbehörde anzurufen und ihnen zu erzählen, was passiert war. Außerdem musste er Donovan Platt anrufen. Damit er ihm erklären konnte, warum er »etwas spät« dran sei.
Andernfalls musste er jemand anders in dem dahinjagenden Zug finden, jemanden, den er überzeugen konnte – von was?
Als ob das jemals klappen würde.
Jack mogelte sich eine Reihe weiter nach vorne. Er saß jetzt dicht genug hinter Angela, um den Rauch in ihren Haaren zu riechen. Ihr Nacken glänzte leicht von Schweiß.
Sie musste gespürt haben, wie er sie anstarrte,
denn sie drehte sich um und fixierte ihn mit einem stechenden Blick.
»Was zum Teufel ist eigentlich dein Problem?«
Jack lehnte sich auf seinem Sitz zurück. »Ich brauche deine Hilfe.«
Sie seufzte und wandte sich ab. »Was im Club passiert, bleibt auch im Club, Kumpel. Oder Jack. Oder was auch immer dein richtiger Name ist.«
»Also, diese Sache lässt sich nicht leicht erklären, und ich schwöre, wenn ich nicht so dringend Hilfe bräuchte, würde ich dich niemals belästigen.« Er blickte auf ihren Hinterkopf. Sie bewegte sich nicht. Vielleicht hörte sie zu. »Wie kann ich es dir bloß erklären? Ich weiß, dass das alles wahrscheinlich nicht viel Sinn ergibt. Für mich ergibt es ja auch keinen Sinn. Aber wenn du mir nur ein ganz klein bisschen vertraust, kannst du mir das Leben retten. Im wahrsten Sinne des Wortes.« Ihre Schulter bewegte sich, und sie rutschte auf ihrem Sitz herum. Aber sie stand nicht auf und ging. Das war das Entscheidende. Im Moment hörte sie zu. »Letzte Nacht habe ich im Flughafen diese Frau getroffen, und sie hat mich mit einem Ortungssystem infiziert … »
Angela wandte sich ihm zu, um ihn anzusehen. Sie hatte die Augen zusammengekniffen, und ihr Mund war leicht geöffnet, als würde sie sich innerlich fragen: Was?
»Das bedeutet, um es kurz zu machen, dass ich nicht allein sein darf, oder ich sterbe.«
Ihre Lippen schlossen sich, und ihre Augen wurden
noch schmaler. Dann hob sie ihren rechten Arm.
»Ich weiß, das klingt verrückt, aber … »
Sie drückte auf den Knopf der Sprühdose.
Die Flüssigkeit traf ihn direkt in die Augen. Aber das spürte er zunächst gar nicht. Es war eher sein ganzes Gesicht. Als wäre ein Stück Urwald plötzlich mit einer Ladung Napalm beschossen worden, brannte es auf seinen Wangen, auf Stirn und Nase. Es war die Hölle. Er schreckte zurück, doch er konnte sich nirgends hinbewegen. Sein Rücken war bereits gegen die Lehne gepresst. Also rutschte er zur Seite und fiel auf den Boden, während er schrie: »Du Miststück! Du dreckiges … verdammte Scheiße, das war Pfefferspray!«
Er war viel zu sehr mit Brüllen beschäftigt, als dass er wirklich etwas hörte, aber Jack hätte schwören können, sie hätte »Arschloch« gemurmelt.
Es hörte nicht auf zu brennen. Und je mehr er schrie und je mehr er sich bewegte, desto stärker schienen die Schmerzen zu werden.
Aber das Schlimmste war, dass er nichts sehen konnte.
Wo war Angela? Saß sie immer noch da? Und lachte ihn aus, während er sich auf dem dreckigen Boden der Hochbahn wälzte?
Steh auf, Jack. Steh auf und streck die Hände aus. Orientiere dich. Verdammt noch mal, Junge, steh auf und find raus, wo zum Teufel du bist und wo andere Leute sind und geh zu ihnen, sonst stirbst du .
»ANGELA!«, schrie er.
Und jetzt die Augen … ja, er konnte das Brennen in den Höhlen spüren. Seine Kontaktlinsen waren durch die Säure wahrscheinlich zu kleinen, harten Klumpen geschrumpft, und das Gift drang in seine Augäpfel. Je stärker seine Augen tränten, desto mehr verteilte sich das ätzende Gift des Pfeffersprays; und er hätte schwören können, dass es bereits in Nase und Rachen war, und dass er es schluckte …
Beweg dich.
Los jetzt.
Such nach anderen Leuten.
Bleib am Leben.
Vergiss das fiese Brennen in deinem Gesicht.
Jack war sich nicht sicher, aber als er, ohne irgendwas zu sehen, durch den Wagen stolperte, streifte er den alten Mann, der im hinteren Teil saß. Dieser Mann, die einzige Person in Philadelphia, die immer noch jeden Tag einen Filzhut trug, glotzte Jack mit einem irritierten Gesichtsausdruck an. Ach, die Jugend von heute. Aber was war hier
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