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Blondine ehrenhalber

Blondine ehrenhalber

Titel: Blondine ehrenhalber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valerie Frankel
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von Franks Lieblingsängsten war typisch für New Yorker: Sie geht spätnachts allein von der Subway nach Hause. Auf einer verlassenen Straße hört sie Schritte hinter sich, und noch bevor sie wegrennen oder um Hilfe rufen kann, wird sie von einem Vergewaltiger oder Mörder angegriffen. Es ist kein willkürlicher Gewaltakt. Nein. Der Irre hat es auf sie abgesehen, hat sie schon vor Monaten ausgesucht. Zum Beispiel wegen der Farbe ihrer Bluse — vielleicht tragen deshalb 95 Prozent der New Yorker Frauen immer schwarz. Vielleicht wegen ihres Gesichtsausdrucks, der sagte: »Ich bin leicht unzufrieden« — und für den Psychopathen eine Aufforderung zu enthalten schien wie: »Töte mich jetzt.« Frank fiel es schwer, Fremden zu trauen. Vor allem feindseligen umherschwirrenden Männern im Trenchcoat.
    Sie zählte, wie es ihre Art war, einmal mehr die anwesenden Gäste. Der Auftritt der Polizisten hatte einige Passanten von der Straße hereingelockt. Die Menge um Piper wirkte aufgedreht. Am nächsten Morgen würde die Anti-Story von den losgelassenen Knallkörpern sicher zu einem riesigen Rassenkrawall aufgebläht worden sein. Frank sah, wie einige Damen sich Tassen und French-Press-Kaffeekannen aus dem Verkaufsregal holten. Sie ging zum Kassieren hinter die Kasse und fragte sich, warum die Artikel, die seit langem auf den Regalen vor sich hin staubten, auf einmal so heiß begehrt waren. Schließlich verstand sie: Die Leute wollten Souvenirs. Erinnerungsstücke von ihrem großen Tag am Ort des Geschehens. Vielleicht war an dem ganzen Reklame-Spektakel für das Café wirklich etwas dran.
    Amanda war nirgends zu sehen. Die Polizisten saßen im Café und genossen Gratiskaffee als kleinen Willkommensgruß. Vermutlich hatte sich Amanda ins obere Stockwerk zurückgezogen, um sich für den Abend zurechtzumachen. Es war sonst nicht ihre Art, Trubel zu verpassen, aber — so vermutete Frank — dieser lange Tag hatte sie sicher sehr mitgenommen. Vor allem, wenn man bedachte, wie er begann: mit ihrem Begleiter tot auf einer Bahre. »Habt ihr Geschenkpapier zur Hand?«, fragte Walter neben Frank. »Diese Dame möchte ihre French-Press-Kanne als Geschenk verpackt haben.«
    »Nein, leider nicht«, wandte sich Frank an die Kundin, die die Kanne bereits gekauft hatte und die Schachtel jetzt ohne Geschenkverpackung in ihre Tasche steckte. Frank musste es sich eingestehen: Solange Walter an ihrer Seite war, freute sie sich sogar, dass ihre Schwester nicht anwesend war.
    Amanda zog nie absichtlich die Aufmerksamkeit von Männern in Franks Nähe auf sich. Trotzdem tat sie es, angefangen bei ihrem Vater, später bei den Jungs in der Schule und schließlich bei Eric, ihrem Exverlobten, der bei einem Treffen der Greenfield-Familie zu neuem Leben erwacht war.
    Frank wunderte sich, dass Walter ihr überhaupt Beachtung schenkte, wo sich doch auch Clarissa im Raum aufhielt. Aber hatte diese ihr nicht erzählt, dass sie die ganze Nacht über geredet hatten? Dass nichts passiert war? War es überhaupt im Entferntesten möglich, dass Walter sich für sie und nicht für Clarissa interessierte? Frank malte sich eine schöne Szene aus: Sie im Abendkleid, er im Smoking, wie sie irgendwo tanzten, wo es elegant zuging, in einem Ballsaal mit schweren Vorhängen, einer hohen Wendeltreppe und einem Balkon. Ja, einem Balkon, von dem aus man in einen wunderschönen Garten blickte, während in der Luft der Duft von Pinien und Rosen hing.
    »Francesca.« Es klang, als sänge er ihren Namen wie ein Lied zu Geigenklängen. Sie war in Satin gehüllt, das Kleid ließ den Rücken frei.
    »Huhu, Francesca.« Wieder erklang seine Stimme. Geschmeidig und rau zugleich. Sie küssten sich im Mondschein und Walters Hände strichen zärtlich über ihr Gesicht, berührten ihre Schultern, schüttelten sie sanft. Dann etwas fester.
    »Hallo, komm auf den Boden zurück«, sagte Walter.
    Und Frank erwachte, kehrte wieder in die Realität zurück. »Ja, ja«, stotterte sie. »Bin schon wieder da. Was gibt’s? Was ist los?«
    »Die Dame wartet auf ihr Wechselgeld«, sagte Walter gelassen.
    »Hier bitte.« Sie drückte der Kundin einige Münzen in die Hand und spürte, dass ihr Gesicht feuerrot sein musste.
    »Wo warst du denn?«, wollte Walter wissen.
    »Vergiss es.«
    »Irgendwann möchte ich da auch einmal mit dir hin«, gab er zurück.
    »Du meinst auch nie etwas ernst«, versuchte sie sich herauszureden. Er konnte es einfach nicht ernst meinen.
    Ein Blitzlicht flackerte auf.

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