Blondine ehrenhalber
welchem Grund. Wenn es erst einmal tot ist, wird dieses Mastschwein gut und gern eine Gefriertruhe füllen, dachte Sammy, der einarmige Axtschwinger, der mit den Gewerkschaften und dem Mob ein Hühnchen zu rupfen hatte. Endlich pumpte das fette Herz des aufgedunsenen Tieres literweise klumpiges Blut aus den klaffenden Wunden in seinem Hals hinaus in den Rinnstein. Paulie wischte sich die Stirn mit seinem von Schweiß und Blut klebrig durchnässten Tuch und sagte zu Sammy: >Besser geht’s nicht.<«
Frank ließ das Buch in ihren Schoß fallen. »O mein Gott.« Das hatte sie schon einmal gelesen. Sie blickte auf den Titel. »Um Himmels willen.«
Ein paar Tage nachdem ihre Eltern gestorben waren, hatte Frank bei Bookmaker’s Monthly gekündigt. Ihr Chef hatte sie gebeten, noch einige Buchbesprechungen zu übernehmen, bevor sie offiziell aufhörte. Er war auf ihre Hilfe angewiesen und außerdem der Meinung, dass es sie vielleicht ein wenig von ihrem Schmerz ablenkte, wenn sie einige neue Romane las. Die Rezensionen, die sie in jener Woche für ihn schrieb, gehörten zum Besten, was Frank je verfasst hatte. Sie fühlte sich freier, als sie sonst je gewesen war, und rezensierte die Bücher, als befände sie sich in einem Vakuum, als ob ihre Kritik nie gelesen werden würde, vor allem nicht von den Autoren. Als sie Pipers Buch damals in die Hände bekam, lautete der Titel Fleischhaus-Mörder. Die Geschichte enthielt so anschauliche und groteske Bilder, dass es einem den Magen umdrehte. Nach der Lektüre einer Passage über das Ausbluten einer Kuh hatte sie sich tatsächlich übergeben müssen. Fleischwölfe, Haken, Hälften von Menschenfleisch. Würste aus Menschenfleisch. Das ganze Buch war so irr und abstoßend, dass der einzige Grund, warum es überhaupt jemand veröffentlichen wollte, darin bestand, dass es schockte. Einen anderen Wert hatte das Buch nicht, wenn man dies als Wert bezeichnen möchte.
Frank schrieb eine vernichtende Kritik, in der sie praktisch dafür plädierte, den Autor hinter Gitter zu bringen. Das war das Letzte, was sie davon hörte. Das Buch war also veröffentlicht worden — sie hielt ja ein Exemplar in der Hand — , doch nie auf eine Bestsellerliste gekommen. Aber das schafften ohnehin nur die wenigsten Bücher.
Sie stellte den Band zurück. Am liebsten wäre sie losgerannt und nie mehr stehen geblieben. Der Fleischhaus-Mann war Piper Zorn. Diese eitrige Pustel von einem Buch war das Produkt seines verdrehten Geistes. Immerhin wusste sie jetzt, warum er sie auf dem Kieker hatte. Eine schlechte Besprechung im Bookmaker’s Monthly war zwar kein Todesurteil, aber durchaus verletzend, vor allem was die Selbstachtung des Autors betraf. Hatten sich alle bösen Mächte der Welt in den vergangenen zwei Wochen gegen sie verschworen? Würde sich ihr erbärmliches Leben denn nie zum Besseren wenden? Frank musste hier weg. Sie stürzte Richtung Aufzug, und sobald sie auf der Straße war, raste sie zur U-Bahn. Zorn war ein gefährlicher Feind — ein Grund mehr, ihm aus dem Weg zu gehen. Sie hoffte inständig, niemand würde ihm erzählen, dass eine der Borgia-Schwestern fast dreißig Minuten lang an seinem Schreibtisch gesessen und sein Telefon abgenommen hatte.
In Sekundenschnelle verschwand Frank in der U-Bahn. Sie musste raus aus Manhattan und zurück in das sichere und gesunde Brooklyn. Sie wäre den Bahnsteig auf und ab gerannt, wäre der Zug nicht sofort gekommen, dank der Rushhour. Und sie wäre im Wagen auf und ab gerannt, wäre das Abteil nicht so voll gewesen. Sie wusste nicht, wohin sie gehen, was sie tun sollte, so aufgedreht war sie. Bis ihr eine glänzende Idee kam. Als der Zug an der 14th Street, Union Square, hielt, stieg sie aus, hastete in großen Sätzen die Stufen hinauf und rannte ostwärts weiter durch die Stadt. Sie bog ab, lief einige Blocks entlang dem Broadway nach Süden und wandte sich einige Straßen weiter nach Osten.
Sie war außer Atem. Ihr Drang nach Bewegung war in der Gegend der Ist Avenue erloschen. Porto Rico, ein Einzelhandelsgeschäft für Kaffee- und Teeimport, hatte noch geschlossen. Frank hämmerte gegen die Tür, bis Brant auf der anderen Seite auftauchte. Er blickte sie durch seine runde John Lennon-Brille an. Sein langes Haar hielt er am Hinterkopf mit einem Stückchen Leder zusammen, er trug Unmengen von geknüpften Armbändern am Handgelenk. Seine Kleidung hätte gut aus den späten Sechzigern stammen können, aber Frank hatte den Verdacht, dass er
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