Blood Lily Chronicles 02 - Zerrissen
meinen Entscheidungen Rose’ Sicherheit stets an erster Stelle gestanden. Wie hätte ich es da rechtfertigen sollen, sie jetzt plötzlich mitten in die Auseinandersetzung zu stürzen?
Das konnte ich einfach nicht. Und das bedeutete wiederum, dass ich mich nicht auf irgendeine Dämonenjagd einlassen konnte. Ich musste die verantwortungsvolle große Schwester sein. Und ich musste meine kleine Schwester mitsamt ihrem blinden Dämonenpassagier nach Hause und ins Bett bringen.
Obwohl mir das klar war, konnte ich es aus irgendeinem Grund nicht tun. Denn sobald sich der Vorschlag in meinem Kopf festgesetzt hatte - sobald ich an das Töten und das Dunkle und das irrwitzige Gefühl dachte, wenn meine Klinge einen Dämon zerschnitt -, nun, dann wollte ich überhaupt nichts anderes mehr tun.
Ich brauchte das Töten. Ich sehnte mich nach dem Dunklen. Und ich hasste mich für das, was aus mir geworden war.
Ich hätte nach Hause fahren sollen. Mich auf die Couch legen, den Fernseher anmachen und mich mit Süßigkeiten vollstopfen sollen, um dem Dämonischen in mir etwas entgegenzusetzen. Denn das lag auf der Lauer und wollte gefüttert werden.
Und ich wollte ihm so verdammt gern Nahrung geben.
Wir fuhren denselben Weg zurück, den wir gekommen waren. Alle drei waren wir so angespannt, dass es mich wunderte, dass die Fenster nicht zersprangen. Aber von dem Dämonenkrieger war nirgendwo etwas zu entdecken.
»Offensichtlich hat sich unser Freund verdrückt«, bemerkte ich.
Rose hatte die Beine angezogen und die Hände um die Knie gelegt. Sie brauchte nicht zu sprechen; ich wusste auch so, was sie dachte: Jener Dämon mochte verschwunden sein, aber es gab noch einen anderen: den, der in ihrem Inneren lebte.
Ich streckte die Hand nach hinten, um sie ein bisschen zu trösten, aber sie rutschte zur Seite weg, sodass meine Fingerspitzen gerade noch ihr Knie berührten. Verunsichert von ihrer abweisenden Haltung zog ich mich wieder zurück.
Der Anblick meines Motorrads lenkte mich von meinem Selbstekel ab. Es lag beschädigt, aber offensichtlich unberührt am Straßenrand.
»Später.« Kiera hatte meinen Blick bemerkt. »Wir holen es auf dem Rückweg.«
»Ich bin müde«, meldete sich Rose zu Wort. »Können wir nicht einfach heimfahren?«
Ich wollte ihr zustimmen, mich verantwortungsbewusst verhalten. Wirklich, ich wollte Kiera sagen, sie solle anhalten, damit ich Rose auf dem Beifahrersitz verstauen und Richtung Boarhurst abdüsen konnte. Aber ich tat es nicht. Denn inzwischen war ich wie besessen von der Idee, einen Dämon abzuschlachten. Darauf konnte ich nicht mehr verzichten. Nicht mal für Rose.
»Bald«, beruhigte ich sie. »Das hier ist wichtig.« Und das war es ja auch. Jeder Mord machte mich schließlich stärker, nicht wahr? Und wenn dieser Kämpfertyp ein Vorgeschmack darauf war, was für Dämonen mir in Zukunft bevorstanden, brauchte ich alle Kraft, die ich kriegen konnte.
Durchaus wahr - und gleichzeitig völliger Blödsinn. Denn in dem Moment war es nicht Kraft, nach der ich lechzte.
Ich ließ Kiera kurz anhalten, damit ich Rose’ Gepäck holen konnte, und schon waren wir wieder unterwegs. Es war noch nicht mal zehn, als Kiera den Wagen auf dem Parkplatz vor einem Klub mit grauer Fassade abstellte, der keine sichtbaren Schilder hatte. Trotz der frühen Stunde deckten ein paar Junkies, die im Halbdunkel bei der Tür standen, ihren Bedarf, und ein besoffenes Pärchen befummelte sich dermaßen hemmungslos, dass es sogar mir peinlich war. Und ehrlich gesagt muss schon eine Menge passieren, damit mir was peinlich ist, bei all dem, was ich mit meinen sechsundzwanzig Jahren - und Alice mit ihren zweiundzwanzig Jahren - so angestellt habe.
»Ich liebe diesen Ort!«, seufzte Kiera, stellte den Motor ab und öffnete die Tür. »Er hat wirklich Atmosphäre.«
Rose saß mit weit aufgerissenen Augen da. »Schau nicht hin!« Kurzfristig war ich wieder die verantwortungsvolle Schwester. »Und falls du doch was siehst, will ich, dass du das bis zum Morgen vergessen hast.«
Entweder waren es meine Worte, die den Bann brachen, oder es war mein Ton. Sie verdrehte die Augen und seufzte. »Ich bin vierzehn, Lil! Ich bin kein Kind mehr.«
»Okay, du bist vierzehn und wirst bald fünfzehn. Aber es gibt nun mal Dinge, die man nicht sehen sollte, bevor man dreißig ist.«
»Dafür ist es ein bisschen zu spät«, entgegnete sie. Da hatte sie nicht unrecht, das musste ich zugeben. Sie war durch die Hölle gegangen, und sie war
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