Blood Lily Chronicles 03 - Versuchung
musterte mich von oben bis unten. Sein Gesicht war schlaff und pummelig, seine Augen aber waren scharf und schnell. »Ein Wahnsinnskampf«, sagte er. »Um was ging es da eigentlich?«
»Wollen Sie das wirklich wissen?« Keine Ahnung, warum ich mich auf dieses blöde Gequatsche überhaupt einließ. Aber irgendein Gefühl veranlasste mich, hierzubleiben und es durchzustehen.
Allzu große Überwindung kostete mich das auch nicht, denn momentan versuchte niemand, mich umzubringen. Und das war immerhin was Erfreuliches.
Hinter ihm hatten sich inzwischen ein paar Neugierige zusammengerottet. Viele hielten sich weiterhin im Hintergrund. Offenbar trauten sie niemandem, der auf einer Brücke mit zwei wolfähnlichen Pelztieren und einem Menschen mit Flügeln wie ein Flugsaurier kämpfte.
Der Mann schaute zu dem Grüppchen hinter sich, dann streckte er den Arm nach einer kleinen Frau mit einem Baby an der Hüfte aus. Sie trat vor und nahm seine Hand. »Ja«, antwortete sie. »Wir wollen es wirklich wissen.«
»Armageddon«, sagte ich. Und schlagartig brüllten alle durcheinander.
Der Mann packte die Hand seiner Frau fester, ließ mich aber nicht aus dem Blick. »Wenn Sie unterliegen, war’s das für uns alle.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
»Ja.«
Langsam nickte er, als müsse er das eben Gesagte erst begreifen. Und als er den Kopf wieder hob, blieb mir die Spucke weg. Das Pummelige war verschwunden, an seine Stelle getreten war die Miene eines Kriegers. Gabriels Miene.
Ich schrak zusammen und trat schnell einen Schritt zurück, doch dem Mann schien das gar nicht aufzufallen.
»Und?«, fragte er. »Werden Sie unterliegen?« Obwohl er wie mit Engelszungen sprach, schienen die Worte nicht aus seinem Mund, sondern aus der Luft zu kommen, die uns umgab.
Ich schüttelte den Kopf und schaute ihn an. Entschlossen. Selbstsicher. »Nein, werde ich nicht.«
Die Illusion verblasste, der Mann war einfach wieder nur ein Mann. Ich blinzelte und fragte mich, ob das, was ich soeben gesehen hatte, Wirklichkeit gewesen war oder ob mir nur mein Verstand etwas vorgegaukelt hatte. Letztlich machte es keinen großen Unterschied. Denn ich hatte es so gemeint, wie ich es gesagt hatte: Ich würde nicht unterliegen.
Um dieses Ziel zu erreichen, brauchte ich jedoch Hilfe. »Hatte Pater Carlton einen Assistenten?«, fragte ich. »Einen anderen Priester vielleicht? Oder sonst jemanden, dem er vertraute?«
Der Mann runzelte die pummelige Stirn. »Das weiß ich nicht, aber ich glaube kaum.«
»Der Monsignore hat ihm nahegestanden«, sagte die Frau.
»Ist er hier?«
Die beiden tauschten einen Blick. »Er ist... Ihm geht es nicht gut.«
»Soll ich Ihnen vorbuchstabieren, wie wichtig es ist?«
Der Mann schaute zu seiner Frau. Die nickte. »Bring sie zu ihm.« Hinter ihr war leiser Protest zu hören. Die beiden gingen darauf allerdings nicht ein, und niemand trat vor. Selbst wenn hier welche glaubten, ich sei ein Dämon, der den Monsignore ermorden wollte, schien keiner Manns genug zu sein, etwas dagegen zu unternehmen.
Ein dunkler Schatten legte sich auf mich, Verachtung für jene, die hierherkamen, sich auf ihren Hintern hockten und beteten, aber keinen Finger krumm machten, wenn sie glaubten, etwas Schlimmes werde passieren. Wenn es ihr Glaube war, der sie zum Stillhalten brachte, dann war mein Mangel an Glaube wohl kein allzu großes Handicap. Wenigstens unternahm ich etwas.
Der Mann, der kurz Gabriel gewesen war, führte mich in den hinteren Teil der Kathedrale und durch Flure, die in jedes Bürogebäude gepasst hätten. Ich rechnete dauernd damit, dass wir durch eine der vielen Türen ein Arbeitszimmer betreten würden. Aber wir gingen immer weiter, bis wir schließlich durch den Hinterausgang in einen Landschaftspark kamen. »Wo sind wir?«
»Hier entlang.« Er zeigte auf einen Kiesweg. Ich schaute mich um, denn plötzlich hatte ich ein ungutes Gefühl. Am Ende war der Kerl gar nicht auf meiner Seite, sondern führte mich schnurstracks zur Schlachtbank.
Doch - und vielen Dank auch, Miss Paranoia - er brachte mich zu einem älteren weißhaarigen Mann mit so dünner Haut, dass man das Blut durch die Adern fließen sah.
Ich holte tief Luft und wappnete mich. Es war kein Tropfen Blut vergossen worden, und vom bloßen Gedanken an Blut in Adern würde ich meinen Blutdurst nicht entfachen lassen. Auf gar keinen Fall.
»Monsignore Church«, sagte mein Fremdenführer und rüttelte die Schulter des Mannes, der in einem
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