Blood Lily Chronicles 03 - Versuchung
weiter.
Glaube, Lily.
Ich erreichte die Tür, gerade als sie zuschlagen wollte. Schnell stellte ich den Fuß dazwischen, damit das Schloss nicht zuschnappen konnte.
Ich hatte es geschafft. Sorgfältig achtete ich darauf, dass die Tür offen blieb. Jeden Moment rechnete ich damit, ich könnte stürzen oder von oben könnte etwas angeschossen kommen und mich angreifen oder der Boden unter mir würde sich in Luft auflösen.
Nichts von alledem geschah.
Dies war meine Chance. Ich packte die Klinke, spannte alle Muskeln an, um die Tür aufzustoßen ... und hörte wieder die leise Stimme. Glaube.
Diesmal erkannte ich sie. Die Stimme war meine.
Ich zögerte, dann zog ich den Fuß zurück und ließ die Tür zufallen. Das Schloss klickte.
Er wollte mich nicht da drinhaben. Noch nicht. Wenn er dazu bereit war, würde er mir alles erzählen. Bis dahin würde ich mit diesem Mann zusammenbleiben und mich an dem Glauben festhalten, dass ich das Richtige tat.
Was das Ende der Welt betraf und meine Fähigkeit, es aufzuhalten, da war ich immer noch nicht überzeugt. Aber das Pflänzlein der Zuversicht, das zart in mir blühte ... nun, das war immerhin ein Anfang.
10
»Ich kann nicht reingehen.«
»Was?« Wir standen vor der St. Jerome’s Cathedral, einer Kirche, die schon vor dem Unabhängigkeitskrieg erbaut worden war. Laut Deacon war dies Pater Carltons Pfarrei, und wenn es jemanden gab, der Einzelheiten über dessen Arbeit kannte, dann hier.
Touristen umschwärmten uns, und die Kameras klickten, als die Massen in das Bauwerk strömten. Uns schenkte niemand Beachtung, was verständlich war, da wir mehr oder weniger wie gewöhnliche Durchschnittsamerikaner aussahen. Vom Dach herunter hatten wir eine gesellschaftlich eher akzeptierte Abstiegsmethode gewählt als beispielsweise den Sturzflug. Wir hatten die Tür zur Dachterrasse gesucht und uns dann vom Aufzug ins Erdgeschoss transportieren lassen. Lediglich am Empfangsbereich einer der Büroetagen hatten wir einen kleinen Zwischenstopp eingelegt. Ich hatte die Dame am Empfang mit der Behauptung abgelenkt, ihr Boss Big Charlie hätte mich betrogen. Während sie unentwegt beteuerte, niemanden dieses Namens zu kennen, hatte sich Deacon rasch zur Garderobe geschlichen und ein Jackett geklaut, unter dem er seine Flügel verstecken konnte, die einfach nicht verschwinden wollten.
Danach fielen wir in der Öffentlichkeit nicht mehr allzu sehr auf, obwohl Deacon durchaus ein paar begehrliche Blicke von Frauen auf sich zog, die seine nackte Brust unter einem Jackett von Armani bewunderten.
»Die Kirche ... Ich kann da nicht rein, ich komme wahrscheinlich nicht mal näher ran. Mist, verfluchter!«, brüllte er plötzlich derart wütend, dass sich ein Pärchen, das mit seinem Baby nicht weit von uns stand, schleunigst aus dem Staub machte. Die Mutter drückte das Kleine schützend an die Brust.
»Ich gehe allein rein«, erklärte ich. Allerdings bereitete es mir Sorgen, dass er fähig war, mitzukommen. Vermutlich bedeutete das, dass der Dämon in ihm den Menschen überwog.
»Darum geht es nicht.« Wut und Selbstekel hingen an ihm wie Ruß. »Ich gebe mir solche Mühe, so eine beschissene Mühe, aber nichts, absolut nichts ist jemals gut genug.«
»Alles ist gut genug«, versuchte ich, ihn zu beruhigen. Ich legte ihm die Hände auf die Schultern. »Verstehst du nicht, warum du sie nicht betreten kannst? Meinetwegen, Deacon. Wegen mir und wegen Rose. Du hast dich in eine Welt fallen lassen, die du hasst, weil du wusstest, das war der einzige Weg, um uns zu retten - um den Oris Clef und die Erde zu retten.«
Ich musste erst mal tief durchatmen; ich war wirklich stinksauer. »Wenn das bedeutet, dass du keine persönliche Einladung ins Paradies bekommst - tja, weißt du was? Dann kann mir der ganze Himmel gestohlen bleiben.«
Er warf mir einen schrägen Blick zu. »Weißt du, warum ich bei der Brücke war?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Weil ich sie hören wollte. Ich wollte sie hören und mich daran erinnern, wogegen ich kämpfe und was ich wirklich will.«
»Wen hören?«
»Die Dämonen. Die Horden. Die allegorischen Reiter.«
Meine Gedanken sprangen im Dreieck, als ich aus seinen Worten einen Sinn herauszufiltern versuchte. »Moment mal. Soll das heißen, es ist dort? Das Portal? Es befindet sich auf dieser bescheuerten Brücke?«
»Oben. Am Ende der Pylone. Da oben bin ich gesessen und habe ihren Rufen gelauscht. Es ist schon eine Versuchung«, sagte er leise, beinahe
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