Blood Magic - Weiß wie Mondlicht, rot wie Blut - Gratton, T: Blood Magic - Weiß wie Mondlicht, rot wie Blut - Blood Magic # 1
Einen Augenblick lang kümmerten mich Zeit und Raum nicht mehr. Ich war frei.
Dann stolperte ich.
Ich wurde langsamer, fing mich wieder und brach schließlich auf dem Kiesweg zusammen. Ich konnte nur mit Mühe atmen und legte mich auf den Rücken. Die Steinchen pikten in meine Schulterblätter, meine Hüften und Waden. Ich breitete die Arme aus und starrte in den Himmel. Weit oben funkelten die Sterne.
War es wirklich erst vier Tage her, seit ich Schulter an Schulter mit Reese auf der Veranda gesessen und Sternbilder angeguckt hatte? Oh Hölle, tat das weh! Es konnte gar nicht sein, dass er nicht mehr da war. Nicht auch noch er.
Allmählich hörte ich den Wind in den Bäumen und das Zirpen der Grillen.
Schweiß kühlte meine Stirn.
Doch mein Atem beruhigte sich nicht und auch mein Blut floss nicht langsamer. Es wurde immer schlimmer, bis ich am liebsten explodiert wäre, so wie Reese im Juni, als er ein Loch in die Küchenwand geschlagen hatte. Es juckte mir in den Fäusten, dasselbe zu tun.
»Reese«, rief ich. Und noch mal, lauter: »Reese.«
Warum hatte er mich verlassen?
»Reese!«, brüllte ich.
Stille.
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Nicholas
Als an dem Morgen danach um sechs Uhr früh mein Handy klingelte, war ich so angespannt, dass ich fast aus dem Bett gefallen wäre.
Ihr Name blinkte auf dem Display. Und ich zögerte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Mir fiel wieder ein, wie der Sheriff und Judy uns mitten auf dem Friedhof gefunden hatten. Ich hatte Silla im Arm, aber nicht um sie zu trösten, sondern um sie von Reese abzuhalten. Ihre starrenden Augen, wie bewusstlos. Die Leiche ihres Bruders, das Blut, das überall war, seine halb geschlossenen Augen.
Ich wusste nicht, was ich zu Silla sagen sollte, aber irgendwas musste ich sagen. Deshalb klappte ich das Handy auf und ging damit zum Fenster. »Hey.«
»Hi«, sagte sie leise. Ich konnte sie kaum verstehen.
Wir schwiegen und ich legte meine verbundene Hand an die kalte Fensterscheibe. Unter dem Verband hielten Stiche die Wunde zusammen, die ich mir an der Friedhofsmauer zugefügt hatte. Ich starrte in die Leere neben meinen Fingern.
Im Morgenlicht sah der Wald so normal aus. Kaum vorstellbar, dass der Sheriff Josephines Blutspur genau dorthin verfolgt hatte. Und dort im Wald hatte er sie auch verloren. Mrs Tripps Haus war durchsucht worden und man hatte mehrere gefälschte Ausweise gefunden – und nicht etwa die Sorte,
die man benutzt, um mit sechzehn in einen Club reingelassen zu werden. Der Sheriff hatte mehrere Geburtsurkunden und Führerscheine mit ihrem Bild und verschiedenen Namen sichergestellt. Seitdem wird im ganzen Staat nach ihr gefahndet. Sheriff Todd wollte zwar nicht so recht glauben, dass sie wiederkommen würde, aber er hat meinem Vater versprochen, regelmäßig einen Streifenwagen bei mir und Silla vorbeizuschicken. Reine Formsache. Sie wollten glauben, dass sie weg war.
Ich ließ den Blick über den Wald zum Friedhof schweifen.
Es war Grandma Judy und mir nicht sonderlich schwer gefallen, alle Welt davon zu überzeugen, dass Mrs Tripp von den alten Geschichten besessen und infolgedessen verrückt geworden war. Falls sie uns im Verdacht hatten, Magie betrieben zu haben, erwähnten sie es mir gegenüber jedenfalls nicht. Vielleicht lag es daran, dass alle die Gerüchteküche kannten und niemand eine gesetzliche Untersuchung eines echten Todesfalls einleiten wollte. Es gefiel ihnen entschieden besser zu glauben, dass Mrs Tripp hinter all dem steckte. Mir ist aufgefallen, dass die Menschen sich hier die Dinge zurechtbiegen, wie sie sie gerne hätten. Niemand stellte uns irgendwelche Fragen, die unsere mühsam konstruierte Geschichte hätten erschüttern können.
Abgesehen von meinem Vater und Lilith. Ich spürte, dass sie sich Gedanken machten. Im Augenblick waren sie unten und arbeiteten zusammen. Sie waren mucksmäuschenstill gewesen, den ganzen Morgen lang, und hatten mich überraschend viel in Ruhe gelassen. Dad war nicht zu seiner üblichen viertägigen Dienstreise aufgebrochen, hatte mir aber auch kein liebevolles Vater-Sohn-Gespräch aufgedrängt. Oder damit angegeben, dass er es vorhergesagt hätte. Es kam mir vielmehr so vor, als würde er stattdessen sagen: Ich bin hier, wenn du mich brauchst, mein Sohn. Bisher hatte ich es noch nicht geschafft, ihm zu
sagen, dass ich das gemerkt hatte und mich darüber freute, selbst wenn ich eigentlich lieber nicht mit ihm redete.
Und Lilith benahm sich wie ein menschliches Wesen. Das
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