Blood Romance 03 - Bittersuesse Erinnerung
gestanden hatte? Auf jeden Fall musste Sarah irgendwo in der Nähe sein, deshalb war sie nicht zur Schule gekommen. War sie bereits mit Dustin untergetaucht oder wartete sie nur an einem verborgenen Ort, bis es Mitternacht war und sie sich endlich mit Dustin treffen konnte - wie es in dem Brief gestanden hatte?
May blieb eine ganze Weile in der Nähe des Autos und lauschte auf jedes noch so kleine Geräusch. Sie lief sogar ein Stück in den angrenzenden Wald hinein. Allerdings musste sie bald feststellen, dass es keinen Sinn hatte, auf gut Glück zu suchen. Das Gebiet war viel zu weitläufig - hier konnte sich jeder verstecken, der nicht gefunden werden wollte. Sie war auf heute Nacht angewiesen, falls das Date noch stattfand. May hoffte, dass Dustin auch tatsächlich auftauchte. Ansonsten ... Sie schauderte. Sie wusste, dass sie keine Ruhe finden würde, solange sie nichts gegen ihn unternommen hatte. Das Verlangen, nach all den schrecklichen Ereignissen endlich wieder eine Spur Gerechtigkeit herzustellen, wuchs immer mehr in ihr, und die Zeit lief. An ihr allein lag es, eine weitere Katastrophe zu verhindern. Aber May musste auf der Hut sein, damit sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort war und vor allem das Richtige tat, wenn es darauf ankam. Sie wusste nicht, ob sie die Chance bekommen würde, Dustin auf der Stelle zu überwältigen, wenn sie ihn antraf. Das kam auf die Situation an, und darauf, wen er bei sich hatte. Aber wenn sie herausfand, wo er sich gerade aufhielt, konnte sie ihn kurz darauf überraschen. Es durfte nichts schiefgehen, sie musste konzentriert vorgehen, durfte sich nicht durch ihre Hassgefühle aus der Fassung bringen lassen und voreilig handeln.
Plötzlich kam May ein Gedanke: Es gab noch eine Sache, die sie tun konnte und die ihr möglicherweise weiterhelfen wurde. Sie sah auf die Uhr: halb zwei. Vielleicht hatte sie ja Glück und Sarahs Mom war zu Hause. Kurz entschlossen machte sie sich auf den Weg.
Dustin war unbemerkt über das alte Treppenhaus zu seinem Zimmer gelangt, das er seit Tagen nicht mehr betreten hatte. Ihm war, als wäre er schon Monate nicht mehr hier gewesen. Für einen Moment setzte er sich auf sein Bett und dachte an seine ersten Stunden in Rapids. Er hatte sich eine ruhige Zeit in der Kleinstadt machen wollen, ohne Ärger, ohne Hoffnung auf Erlösung und ohne Risiko. Er hatte sich vorgenommen, auf Abstand zu seinen Mitschülern zu gehen und bloß nicht allzu sehr aufzufallen. Das hatte gerade einmal bis zum nächsten Morgen funktioniert, bis zu dem Zeitpunkt, als Sarah und er sich in der Aula zum ersten Mal in die Augen geblickt hatten. Danach hatte ein Ereignis das nächste gejagt. Dustin fragte sich, ob er all dem aus dem Weg gegangen wäre, wenn er gewusst hätte, was geschehen würde: dass er Elizabeth nach so vielen Jahren wiederbegegnen und sie ihm mit so viel Hass entgegentreten würde, dass er ein Mädchen treffen würde, welches ihn sofort in seinen Bann zog, dass ein schrecklicher Mord geschehen und SIE ihm auflauern würde ... Dustin konnte es nicht sagen. Aber Tatsache war, dass dies alles nicht umsonst gewesen sein konnte, denn immerhin hatte sein Herz wieder begonnen zu schlagen, während auch Sarah neben ihm als Mensch erwacht war. Und dennoch ... das überwältigende Glücksgefühl, das ihn gestern noch so völlig eingenommen hatte, war heute getrübt. Ein seltsames Unwohlsein hatte sich wie ein grauer Schatten darübergelegt, und obgleich sich Dustin immer wieder sagte, dass alles gut werden würde und Sarah und ihm eine wunderbare gemeinsame Zukunft bevorstand, ließ sich dieses ungute Gefühl nicht vertreiben.
Dustin spürte, dass etwas schiefgelaufen sein musste. Sarah war seit ihrem Erwachen nicht mehr dieselbe. Es war, als wäre sie nur noch halb vorhanden, als hätte sie all ihre Energie und Lebenslust verloren. Dustin fragte sich, ob das normal war und sich ihr Körper nach dem Blutverlust möglicherweise erst wieder regenerieren musste.
Gedankenverloren wechselte er seine Klamotten, packte ein paar warme Sweatshirts für Sarah ein und machte sich auf den Weg zurück in den Keller. Als er die Stufen hinabstieg, merkte er, dass ihn sein verletztes Bein plötzlich wieder schmerzte, obwohl er die Verletzung vorhin kaum mehr wahrgenommen hatte. Aber nun musste er aufpassen, damit er nicht umknickte, und hielt sich krampfhaft am Geländer fest. Jede Stufe kostete ihn enorme Kraft. Es war nicht nur der Schmerz, der durch sein Bein zog. Ihm war
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