Blood Romance 03 - Bittersuesse Erinnerung
zitterst ja immer noch. Hier, nimm du lieber die Decken.«
»Es geht schon«, murmelte Sarah. »Eben war mir noch richtig warm und ich habe mich auch wacher gefühlt, aber jetzt friere ich tatsächlich und ... müde werde ich auch schon wieder.« Sie schnappte sich eine Decke und legte sie um sich. Dustin sah sie prüfend an. Ihm erschien Sarah in diesem Augenblick beinahe noch zarter und durchsichtiger als zuvor. Dabei sollte es doch endlich bergauf gehen mit ihr.
»Jetzt mach doch nicht so ein ängstliches Gesicht, ich bin schließlich im Gegensatz zu dir schon seit ein paar Stunden wach.« Sarah knuffte ihn in die Seite. Sie wollte offenbar unbeschwert wirken, aber Dustin entging der besorgte Ausdruck in ihren Augen nicht.
Sarah gähnte und ließ sich wieder auf die Matratze fallen. »Es tut mir leid, dass ich so schlapp bin«, sagte sie leise. »Bestimmt bist du enttäuscht von mir, oder? Ich meine, weil ich nicht mehr Begeisterung zeige. Aber glaub mir, ich bin genauso glücklich wie du. Und bald wird es mir sicherlich wieder richtig gut gehen. Noch besser als jetzt.«
Dustin streichelte Sarah beruhigend übers Haar und legte dann sanft seine rechte Hand auf ihre Brust, während die linke auf seiner eigenen ruhte. Er erschrak. Sein Herz schlug nach wie vor kräftig und gleichmäßig, aber Sarahs ... Es pochte so leise und schwach, dass man es kaum spüren konnte, und alle paar Schläge setzte es einen Augenblick aus, als wollte es Kraft schöpfen für den nächsten. Dustin zog seine Hand fort. Irgendetwas stimmte nicht. Sarah ging es noch immer nicht besser, sie hatte ihm nur das Gegenteil erzählt, um ihm keine Sorgen zu bereiten. Und obwohl sie es behauptete, erschien sie ihm keineswegs wirklich glücklich, sondern verängstigt und voller Zweifel.
»Sarah, kann ich dich einen Moment allein lassen?«, flüsterte Dustin. »Ich würde mich nur endlich gerne umziehen und bei der Gelegenheit hole ich dir auch ein paar wärmere Sachen aus meinem Zimmer.«
»Okay, aber bitte sei vorsichtig, Dustin«, erwiderte Sarah matt. »Du weißt, May ist nur ein Gebäude weit entfernt. Und bleib nicht zu lange fort.« Ihre Augen blickten ängstlich in seine.
Dustin lächelte ihr aufmunternd zu. »Ich komme gleich wieder, versprochen. Ruh dich in der Zwischenzeit aus.« Dann machte er sich auf den Weg in den ersten Stock des Westtraktes. Dieses seltsam ungute Gefühl ließ ihn nicht los.
May beschloss, ihre restlichen Kurse an diesem Freitag ausfallen zu lassen. Sie konnte sich ohnehin nicht richtig auf den Unterricht konzentrieren. Immer wieder schweifte sie in Gedanken ab zu Sarah, dem Brief, zu Dustin ... und natürlich zu Jonathan, dessen nächtlichem Ausflug und seiner eigenartigen Freundin.
Sarah war nicht zu ihren gemeinsamen Kursen erschienen und auch Jonathan ließ sich nicht blicken. May hätte sich zu gerne mit ihm über Emma unterhalten und ihn gefragt, woher er sie kannte und was genau zwischen ihnen lief. Insgeheim hatte May gehofft, Jonathan könnte ihr im Hinblick auf Dustin weiterhelfen. Bestimmt wusste er mittlerweile, wo er steckte. Aber wenn diese Emma ihm jetzt den Kopf verdrehte, verlor Jonathan möglicherweise das Interesse an Sarah und somit auch daran, Dustin als seinen Konkurrenten auszustechen. Allein deshalb hatte May schon große Lust, ihm Emma auszureden. Sie war ihr ohnehin unsympathisch gewesen, trotz ihres süßlichen Gehabes - oder vielleicht gerade deshalb. Selbst Jonathan hatte in Emmas Gegenwart äußerst angespannt gewirkt.
May packte seufzend ihre Bücher in den Spind und lief den Korridor hinunter Richtung Ausgang. Das Schlimmste war, dass sie nach wie vor im Dunkeln tappte und sich die Ereignisse des letzten Abends - egal wie May sie auch drehte und wendete, in keinen logischen Zusammenhang bringen ließen. Sie musste unbedingt handeln, musste den Dingen möglichst schnell auf die Spur kommen und durfte nicht noch mehr Zeit mit Grübeln verschwenden. Sonst würde Sarah sich heute Nacht vielleicht zu einem waghalsigen Schritt hinreißen lassen, und Dustin hatte ein weiteres Opfer auf dem Gewissen.
Als sie an die frische Luft trat, atmete May tief ein. Es war ein regnerischer Tag und am Himmel hingen schwere dunkle Wolken. Sie fröstelte. Genauso düster sieht es gerade in meinem Kopf aus, dachte sie und zog ihren Mantel enger. Wann wird endlich wieder mehr Klarheit herrschen? Wann wird der Vorhang fallen und Platz machen für etwas Sonne und Licht - und Gerechtigkeit?
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