Blood Romance 03 - Bittersuesse Erinnerung
schon zu lange, die Ewigkeit?«
»Emilia, ich war dir viele Jahre treu. Ich habe alles getan, was du von mir verlangt hast, und ich habe es gerne gemacht. Nur jetzt... Diese Sache mit Sarah war nicht geplant. Ich wollte mich nicht in sie verlieben, aber plötzlich ...«
»Du Armer!« Emilia streichelte Jonathans Rücken. »Das tut mir aber schrecklich leid. Vor allem, weil es so aussieht, als wärst du schon wieder der Verlierer. Schon eigenartig, nicht wahr? Die Dinge scheinen sich zu wiederholen ...«
Jonathan blickte zu Emilia auf und May schien es, als läge eiskalter Hass in seinen Augen. Aber wovon sprach Emilia? Was wiederholte sich? Und wie lange kannten die beiden sich schon?
»Wie dem auch sei«, sprach Emilia in gebieterischem Tonfall weiter, »du wirst gefälligst tun, was ich will, und dieses Mal wirst du nicht wieder versagen, verstanden? Geh achtsamer um, wenn du deine Anweisungen ausführst.«
»Ich habe nie versagt, Emilia, ich ...«
»Ach nein? Und was war mit der Sache in Chicago? Was war mit diesem Kerl, den du mir zugespielt hast? Wie war doch gleich sein Name? Simon ... Schade um den Jungen, wirklich schade. Er hat mir fast schon leidgetan, als er mich mit diesen großen, schreckgeweiteten Augen angestarrt hat. Und dann seine arme Freundin ... Ich finde sie nett. Sie hat mich nicht aus ihrem Zimmer geworfen, obwohl ich zweifellos aufdringlich war. Und sie hasst Dustin fast genauso sehr wie ich - das macht sie doppelt sympathisch.«
May stockte der Atem. Das alles konnte nicht wahr sein. Ihr Gehirn sträubte sich vehement dagegen, das eben Gehörte als Wahrheit zu akzeptieren. Sie zitterte, ihr ganzer Körper begann zu beben. Jonathan, Chicago, Simon, Emilia, Dustin ... Alle Gesichter verschwammen plötzlich vor ihrem inneren Auge und legten sich übereinander, wurden zu einer vielköpfigen Einheit. May bekam kaum noch Luft und ihr Magen begann erneut zu rebellieren.
»Ja, aber weißt du auch, warum sie ihn hasst?« Jonathans Stimme drang wie verzerrt zu ihr. »Weil sie annimmt, er hätte Simon getötet. Immerhin war Dustin zur selben Zeit in Chicago, er und seine neue Freundin Clara, die er einige Monate nach Simons Tod -«
»Mir ist völlig egal, wer was denkt und vermutet. Ich will Dustin und ich will Sarah. Und ich will, dass du die beiden für mich aufspürst, und zwar schnell, kapiert? Sosehr ich auch dieses Katz-und-Maus-Spiel liebe, langsam zieht es sich selbst für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr in die Länge. Und was dich betrifft ... Du solltest dir gut überlegen, welcher Frau du zu Füßen liegst, denn diese Entscheidung könnte sich gravierend auf deine Zukunft auswirken. Ich denke, wir haben uns verstanden. Und jetzt komm mit ... Ich will noch einmal zur Grube und nachsehen, ob es irgendwelche Spuren gibt, die uns weiterhelfen können.«
Ihre Schritte entfernten sich und plötzlich war wieder alles still. May merkte, dass ihre Kräfte sie nun im Stich ließen, und sie konnte sich nicht mehr länger dagegen wehren. Die Ohnmacht überkam sie und tauchte sie in eine kurze gedankenlose Dunkelheit. Als sie ein paar Minuten später wieder zu sich kam, lag sie auf dem lehmigen Waldboden. Ihr Kopf schmerzte, als sie sich aufsetzte, und ihr Körper fühlte sich an wie in Watte gepackt, dumpf und leer und als gehörte er gar nicht ihr.
Alles war nun anders — komplett anders. Sie war einem Irrtum unterlegen, lange Zeit. Sie hatte einen Schuldigen gesucht und Dustin gefunden. Es hatte alles so gut zusammengepasst, wie die Faust aufs Auge. Und Jonathan ... Er war ihr Freund gewesen, ihr Gleichgesinnter, ihr Retter in der Not. Sie war ihm hierher gefolgt, weil sie es allem in Chicago nicht mehr ausgehalten hatte. Und jetzt diese Wahrheit, diese grausame, erstickende, nicht fassbare Wahrheit.
May rappelte sich auf. Wie ferngesteuert lief sie in Richtung Wohnheim. Sie blickte sich nicht um und bemühte sich auch nicht, leise zu sein. Es war ihr egal, was mit ihr geschah, es war ihr in diesem Moment alles egal. Sie fühlte nichts, noch nicht einmal Angst. Wovor sollte sie sich noch fürchten? Etwa vor Lügen oder Verrat? Vor Enttäuschungen? Vor dem Tod? Nichts spielte mehr eine Rolle.
Dustin klopfte energisch gegen Jonathans Tür. Nichts. Er versuchte es noch einmal. »Jonathan ... Jonathan!« Wieder keine Reaktion. Dustin drückte die Klinke nach unten - die Tür ließ sich öffnen. »Jonathan?« Dustin trat in den dunklen Raum. Ihm wurde mulmig bei dem Gedanken an den
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