Blood Romance 03 - Bittersuesse Erinnerung
Nichts.
Plötzlich schob sich der Mond ein kleines Stück zwischen den Wolken hindurch — nur für einen kurzen Moment wurde die Gestalt vor May sichtbar. Emma trug ihr rotes Haar offen und es umhüllte ihr langes dunkles Gewand wie ein zweiter Umhang. Und sosehr sie auch versucht hatte, ihrer Stimme einen freundlichen Klang zu verleihen, in ihren Augen lag eisige Kälte.
Während er rannte, drehte sich Dustin zum wiederholten Male nach seiner Verfolgerin um. Nach seiner Verräterin, seiner Feindin: May.
Äste peitschten ihm ins Gesicht und schrammten seine Haut, der Verband um seinen verletzten Arm löste sich. Doch das war ihm egal, er merkte es kaum. Er hatte nur eines im Sinn: die vorläufige Flucht - sosehr es ihm auch widerstrebte, wie ein Feigling davonzurennen.
Vor ihm lichtete sich das Dickicht bereits. Seine Augen schnellten hin und her, er lauschte angestrengt. Wie es aussah, hatte er es geschafft, May abzuhängen. Er verlangsamte sein Tempo. Seine Lunge arbeitete auf Hochtouren, er atmete heftig und ihm stand der Schweiß auf der Stirn. Und obwohl sein Gesicht glühte, fühlte er sich innerlich wie erfroren. Noch immer konnte er nicht fassen, was geschehen war. Aber er war noch einmal davongekommen. Gerade rechtzeitig, bevor May ihn IHR in die Arme hatte treiben können. Aber was würde beim nächsten Mal geschehen? Dustin wusste, dass die Verfolgungsjagd noch lange nicht vorbei war.
Was ihn betraf, so hatte er keine Angst mehr davor, sich einem Kampf zu stellen. Alles war besser als dieses Davonlaufen, dieses ewige Versteckspiel. Aber Sarah ... Ihr Leben war jetzt mit dem seinen verbunden und dadurch schwebte auch sie in Gefahr. Geschah Dustin etwas, würde auch sie Schmerzen verspüren. Verlor er in einem Kampf zu viel Blut, dann würde auch Sarah verbluten. Dustin hatte fliehen müssen, ob er es nun gewollt hatte oder nicht. Gegen May allein hätte er vermutlich eine Chance gehabt, aber nicht gegen Emilia, mit der sie sich offenbar verbündet hatte.
Dustin näherte sich dem Wohnheim. Während er sich immer wieder suchend umblickte, nahm er den Weg zum alten Treppenhaus des Westtraktes. Er musste Sarah wecken und sich mit ihr beraten. Hier waren sie nicht länger in Sicherheit. Ihr Versteck konnte jeden Moment auffliegen. May und Emilia brauchten nur noch Jonathan auf ihre Seite zu ziehen. Und dass er Dustin mittlerweile bis auf den Tod hasste, hatte er vorhin bewiesen. Er konnte ihn und Sarah ins offene Messer rennen lassen.
»Verdammt! Verdammt, verdammt, verdammt! Das darf einfach nicht wahr sein!«
May zuckte in ihrem Versteck zusammen, als das wütende Zischen wieder die Stille durchbrach. Emma schien sich nun nicht mehr um einen freundlichen Klang ihrer Stimme zu bemühen. Anscheinend ging sie davon aus, dass Sarah ihr abhandengekommen war. Wieso verschwand sie nicht endlich? Worauf wartete sie noch?
Plötzlich wühlte sie hektisch in den Taschen ihres dunklen Mantels und zog etwas hervor. Ein grünliches Licht glomm auf, wahrscheinlich vom Display ihres Handys. Emma schien eine Nachricht zu tippen - vielleicht an Sarah? Was hatte Emma bloß mit ihr vorgehabt? Machte sie wirklich gemeinsame Sache mit Dustin, wie sie vorhin behauptet hatte? May verfluchte sich. Warum hatte sie Emma nur von Sarahs Gefühlen für Dustin erzählt? Warum hatte sie überhaupt so viel ausgeplaudert? Je länger sie jedoch nachdachte, desto klarer wurde ihr, was sich hier abspielte. Eigentlich war die Sache ganz einfach: Emma war in Jonathan verliebt und wollte ihn für sich gewinnen. Dafür musste allerdings Sarah aus seinem Leben verschwinden und daher versuchte sie jetzt mit aller Macht, Sarah und Dustin zu verkuppeln und damit ihre Konkurrentin aus dem Weg zu schaffen. Ob sie auch gemeinsam mit Dustin den Brief geschrieben hatte? Das würde die abweichende Handschrift erklären.
Langsam sortierte sich das Durcheinander in Mays Kopf. Und dennoch fühlte sie sich unwohl. Sie wagte noch immer nicht, sich zu bewegen, auch wenn das eigentlich albern war. Sie konnte Emma gegenüber einfach behaupten, Sarah habe ihr den Brief gezeigt oder ihr vorhin noch von dem Treffen am Steinbruch erzählt. Aber irgendetwas bewog sie dazu, sich weiter still zu verhalten.
Vielleicht war es ihr Herz, das nach wie vor viel zu heftig klopfte, vielleicht war es auch dieses seltsame mulmige Gefühl in ihrer Magengegend, das einfach nicht verschwinden wollte. May konnte es später nicht mehr sagen, aber kurz darauf dankte sie einer
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