Blood Romance 03 - Bittersuesse Erinnerung
Wald groß und abenteuerlich erschienen - und gefährlich. Beim Spielen hatte er sich immer wieder umgesehen, um sich jeden Strauch und Baum genau einzuprägen, damit er später auch sicher wieder herausfand. Heute wusste er, dass der Wald zu licht und zu klein war, um sich darin zu verirren, und keinerlei wilde Tiere oder andere Gefahren in ihm lauerten. Aber als er nun nehelverhangen und ins bleiche Licht des Vollmondes getaucht vor ihm lag, schien er Dustin auf seltsame Weise verändert. Gespenstisch und unwirklich.
Dustin ließ sich auf einer kleinen Steinbank am Waldrand nieder und atmete den würzigen Duft der Pinien ein. Benommen fuhr er sich über die Augen. Er hatte das seltsame Gefühl, als umhüllte der Nebel nicht nur die Bäume, Wiesen und Weinreben, sondern belegte auch seine Sinne, um ihn zu einem Bestandteil dieser surrealen, geisterhaften Welt zu machen.
Plötzlich vernahm Dustin hinter sich ein Rascheln. Er schnellte herum, ließ seinen Blick schweifen, aber bis auf die dunklen Umrisse der Bäume konnte er kaum etwas erkennen. Er lauschte angestrengt. Nichts. Doch da, wieder Geräusche ... Schritte. Dustins Herz begann laut zu klopfen, als er sich so leise wie möglich erhob. Wer oder was befand sich außer ihm um diese Zeit noch hier?
Schleifgeräusche ... wieder Schritte ... Schnaufen ...
Diese Geräusche konnten nicht von einem kleineren Tier herrühren, sie mussten von etwas Schwerfälligerem verursacht werden ...
Ein markerschütterndes, grässliches Jaulen ließ Dustin jäh von seiner Bank aufspringen. Obwohl ihm mehr als mulmig war, begann er, sich wie ferngesteuert in die Richtung zu bewegen, aus der die Geräusche gekommen waren. Er wusste selbst nicht, was ihn dazu antrieb. Seine Beine taten einfach, was sie wollten, obwohl sich sein Innerstes gegen jeden seiner Schritte sträubte.
Wieder Geräusche, schneller diesmal ... Dustin tastete sich so lautlos wie möglich von Baumstamm zu Baumstamm. Seine Augen brannten vor Anstrengung, irgendetwas durch diese undurchsichtigen weißen Nebelschwaden hindurch zu erkennen. Der Nebel schien sich zwischen den Bäumen sogar noch zu verdichten, als wollte er alles Geschehen vor Dustin verbergen.
Plötzlich brach ein großer dunkler Schatten durch den Nebel. Dustin blieb stehen, aber auch das Wesen vor ihm schien bemerkt zu haben, dass es nicht mehr alleine war. Es verharrte einen Augenblick, als witterte es Dustins Spur, dann floh es in die entgegengesetzte Richtung. Die Schritte entfernten sich so rapide, als wüsste der Flüchtling genau, wohin er wollte. Doch auf einmal schien er zu straucheln und mit einem dumpfen Geräusch zu Boden zu fallen. Dustin nahm blind die Verfolgung auf. Er kam seinem Ziel näher, spürte, dass er es bald erreicht haben musste, hörte etwas oder jemanden schnaufen und leise aufstöhnen. Vor Schreck hielt er den Atem an. Dustin konnte nicht sagen, was er erwartet hatte, doch mit diesem Anblick hatte er nicht gerechnet. Im milchigen Schein des Mondes sah er vor sich einen Mann auf dem Rücken liegen, das rechte Bern unnatürlich angewinkelt. Er trug einen umhangähnlichen dunklen Mantel mit Kapuze, die sein Gesicht verbarg, aber Dustin erkannte trotzdem, wen er vor sich hatte. Er riss ihm die Kapuze vom Kopf. Der Gestürzte hob langsam den Blick und starrte zu Dustin empor.
»Henry. was zum Teufel ...« Als er sich ein Stück bewegte, stieß Dustin mit dem Fuß gegen etwas Weiches. Dort neben Henry lag noch irgendetwas anderes. Dustin zog sein Bein zurück.
»Was hast du getan, Henry?«, flüsterte er erstickt.
Keine Antwort. Henry versuchte sich aufzurichten, schrie jedoch vor Schmerzen auf und sank sogleich wieder zurück.
Dustin musste sich überwinden, genauer auf das dunkle Bündel vor sich zu blicken. Zitternd streckte er eine Hand danach aus. Er spürte struppiges Fell. Übelkeit stieg in ihm hoch. Dustin tastete weiter und griff in etwas Klebriges, Warmes. Erschrocken zog er die Hand zurück und hielt sie sich dicht vors Gesicht. Blut ... Im fahlen Mondlicht glänzte seine Hand dunkel vor Blut. In diesem Moment wusste Dustin, worum es sich bei dem reglosen Fellbündel handelte. Henry bemühte sich erneut, sich aufzurappeln, aber Dustin stürzte sich ohne Zögern und mit seinem ganzen Körpergewicht auf ihn. »Du kranker Idiot, was hast du getan?«, zischte er und presste Henrys Kopf zu Boden. Er zitterte am ganzen Leib und unbeschreiblicher Zorn stieg in ihm hoch, der ihn kaum noch klar denken
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