Blood Romance 04 - Ruf der Ewigkeit
Abend über die Lehne geworfen, bevor er sich zum Schlafen auf die Couch gelegt hatte. Ja, dort war sie noch. Sarahs Finger tasteten zitternd den rauen Stoff des Parkas ab. Tatsächlich, darunter fühlte sie einen Widerstand, etwas Hartes. Hoffentlich war es das, wonach sie suchte -
»Sarah?«
Sarah fuhr zusammen und ihr Herz machte einen erschrockenen Satz. Jonathan knipste das Licht an. »Kannst du auch nicht schlafen?«
Sarah blinzelte und schüttelte den Kopf. »Ich ... Ich wollte mir nur schnell etwas zu trinken holen«, presste sie hervor und bemühte sich um ein Lächeln. »Tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe.«
»Hast du nicht.« Jonathan betrachtete sie von oben bis unten und ein seltsam beklemmendes Gefühl in ihrem Magen ließ Sarah die Arme um ihren Körper schlingen. Hatte Jonathan etwas bemerkt? Hatte er sie durchschaut? Sarah wusste von Dustin, dass Unsterbliche selbst im Dunkeln nahezu alles scharf erkennen konnten. Dennoch hatte sie sich zu Jonathan ins Wohnzimmer gewagt, in der Hoffnung, er befände sich im Tiefschlaf. Ängstlich versuchte sie irgendetwas in Jonathans Blick zu lesen.
»Wenn du dich fürchtest und dich allein fühlst, kannst du ... dich auch gerne zu mir legen«, sagte Jonathan schließlich leise. »Hier ist genug Platz für zwei.«
Sarahs Kehle schnürte sich zusammen. »Danke, Jonathan, aber ... das alles ist gerade ... ziemlich viel für mich und ...«, Sarah schluckte, »... und nicht der richtige Ort dafür, finde ich.« Jonathan stand auf und trat langsam auf sie zu, bis er nur ein paar Zentimeter von ihr entfernt stand.
Sarah bewegte sich nicht von der Stelle, nur ihr Brustkorb hob und senkte sich. Und ihr Herz darin klopfte, klopfte, klopfte ... wehrte sich und konnte nichts tun. Jonathan streckte die Hand nach Sarahs Gesicht aus, streichelte über ihre Wange und hob dann sanft ihr Kinn an, sodass sie ihm in die Augen sehen musste.
Bitte nicht, flehte Sarah stumm, bitte küss mich nicht, bitte fass mich nicht an, bitte verlang das nicht von mir ...
»Ich weiß, du brauchst noch etwas Zeit.« Jonathan lächelte verständnisvoll, dann küsste er Sarah auf die Stirn und machte einen Schritt auf den Sessel zu. Sarah schloss die Augen und atmete erleichtert auf.
»Komm, setz dich und nimm dir die Wolldecke, ich bringe dir etwas zu trinken. Was möchtest du denn? Tee, Wasser? Eines muss man Emilia lassen, sie ist perfekt ausgestattet.« Jonathan nahm seine Jacke von der Lehne, um Sarah Platz zu machen. Aus den Augenwinkeln erkannte sie sein Handy, das aus der Innentasche ragte.
May fand einfach keine Ruhe. Immer wieder stand sie auf, knipste das Licht an und las Dustins Brief - seine Kampfansage an Emilia. Es waren nur wenige Zeilen, aber es lagen so viel Entschlossenheit und Selbstvertrauen darin, dass es May geradezu verunsicherte. Gab sich Dustin nur einer Illusion hin, so wie sie die ganze Zeit über angenommen hatte? Oder besaß er tatsächlich diesen starken Glauben an sich selbst und das Gefühl, unbesiegbar zu sein, sodass er am Ende doch eine realistische Chance hatte, Emilia Herr zu werden? Glaube versetzt Berge, hieß es immerhin.
May trat ans Fenster und blickte hinaus in den anbrechenden Tag. Zum ersten Mal misslang es ihr, jene Frage abzuwehren, die in den letzten Stunden immer wieder in ihr aufgekeimt war. Eine Frage an sich selbst: Wieso will ich eigentlich um jeden Preis, dass dieses grausame Spiel ein Ende hat? Wieso tue ich mir das alles an, begebe mich in Gefahr, setze mich derart schrecklichen Bildern und Situationen aus? Wieso quäle ich mich so? Ich könnte gehen, weit weg, dorthin, wo ich nicht mehr mit dieser endlosen Geschichte von Liebe, Hass und Unsterblichkeit in Berührung komme. Ich bin schließlich raus aus der ganzen Sache, ich bin wieder ein ganz normaler Mensch, niemand muss etwas von meiner Vergangenheit erfahren. Ich kann mein Leben von vorne beginnen. Wieder einmal ...
Natürlich wollte sie, dass Sarah glücklich wurde und nicht weiter in Gefahr schwebte. Dieser Wunsch war echt, er kam von Herzen. Außerdem gönnte May auch jener Person Rettung und Erlösung, die sie vor Kurzem noch hatte leiden sehen wollen: Dustin war keine Bestie, das wusste sie inzwischen. Sie hatte sich in ihm getäuscht, er war noch nicht verloren. Seine Gefühle für Sarah schienen echt, er nahm viel für sie in Kauf und möglicherweise hatten die beiden tatsächlich die Chance auf eine gemeinsame Zukunft. Und auch Jonathan hatte noch die Möglichkeit,
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