Blood Romance 04 - Ruf der Ewigkeit
was das für ein Chaos gäbe.«
»Was meinen Sie damit?«, fragte May verwirrt. »Ich verstehe Sie nicht ganz. Sprechen Sie von einem Job, den Sie ausüben? Sind Sie eine Art Hüter der Ewigkeit? Ihr Bewacher?«
Wieder lächelte George und wiegte seinen Kopf hin und her, wobei er sofort wieder um Jahrzehnte jünger aussah. »Ein Hüter der Ewigkeit, ja, das ist gar nicht einmal so verkehrt und klingt sehr poetisch, aber ... Schlichter und ebenso passend wäre vielleicht Polizist oder Hausmeister. Ich beobachte, was in der Unendlichkeit vor sich geht, helfe dem ein oder anderen auf seinem Weg, vorausgesetzt, er lässt es zu. Und ich unternehme etwas gegen diejenigen, die keine Grenzen mehr kennen, die die Regeln der Ewigkeit trotz mehrfacher Warnung respektlos missachten und sich bereits hoffnungslos verloren haben. Letztere sind leider keine Ausnahmen ...«
May starrte ihn aus großen Augen an. »Aber wir beide ... Wir sind uns nie begegnet, als ich selbst noch unsterblich war, oder? Warum nicht?«
»Hm, ich schätze, dafür hast du dich zu gut selbst arrangiert. Du brauchtest mich nicht wirklich, sonst hätte ich es irgendwann erfahren. Du hattest die Kraft und den Willen, dich alleine durchzuschlagen und ein Gespür für deine neue Situation zu entwickeln. Das ist der Idealfall, aber mancher Unsterbliche braucht eben länger als ein anderer, um seine Richtung und Bestimmung zu finden«, fuhr George fort. »Es gibt so viele Möglichkeiten ... unendlich viele, um genau zu sein ... Es ist nicht leicht, sich zu orientieren und die Suche nach dem richtigen Weg erfordert viel Geduld. Du weißt, wovon ich spreche.«
May nickte. Ja, sie wusste noch zu gut, wie verloren sie sich oft gefühlt hatte und wie groß die Verzweiflung in ihr gewesen war, wenn die Bedeutung von ewigem Leben sich plötzlich mit ganzer Wucht auf sie gestürzt hatte. Sie holte Luft. »Aber ... weshalb haben Sie nicht schon eher etwas gegen Emilia unternommen?«, fragte sie. »Sie hat schon so viel Leid angerichtet und etliche Menschenleben auf dem Gewissen. Was ist passiert? Haben Sie sie nicht erwischt?«
George senkte den Blick. »Du bist ein intelligentes Mädchen, May. Ja, du hast recht, ich hätte längst etwas unternehmen sollen, aber ... ich habe meine Augen vor den Tatsachen verschlossen. Ich habe mich aus dieser ganz speziellen Angelegenheit herausgehalten. Ein einziges Mal bin ich Dustin begegnet - eher durch Zufall. Es war vor ein paar Jahren in Chicago. Ich überlegte, ihn zu vernichten, ihn Emilia auszuliefern, damit endlich wieder Ruhe einkehrte und sie zufrieden wäre, aber ... ich habe es nicht getan. Ich wusste, dass dies der falsche Weg gewesen wäre.« George hob wieder den Blick und sah May in die Augen. »Ich war in Bezug auf Emilia von Anfang an ... ratlos. Wahrscheinlich, weil ich eine ganz besondere Bindung zu ihr habe, obwohl wir uns nur ein einziges Mal leibhaftig begegnet sind.«
»Warum?«, flüsterte May.
»Emilia ist das einzige Geschöpf, das ich selbst in die Unendlichkeit geschickt habe«, antwortete George leise. »Ich trage eine gewisse Verantwortung für ihre Existenz. Sie ist... mein Schützling.« Er lächelte. »Ich hoffte, Emilia würde ihren Weg irgendwann finden. Entweder, indem eine Liebe sie ins Menschenleben zurückholen, oder aber, indem sie ihren Frieden mit der Ewigkeit schließen würde. Natürlich habe ich ihr meine Hilfe angeboten, aber sie hat sie abgelehnt, hat all meine Ratschläge in den Wind geschlagen. Wahrscheinlich hat sie mich zu sehr gehasst für das, was ich ihr angetan habe. Und dafür, dass ich ihre Mutter geliebt und sie mir in meiner damaligen Verzweiflung zurückholen wollte. Emilia hat sich von mir abgewendet und ich konnte es ihr noch nicht einmal zum Vorwurf machen.«
»Und Jonathan?«, fragte May, nachdem George in ein nachdenkliches Schweigen verfallen war. »Ich meine natürlich, Henry ... Mit ihm hatten Sie doch all die Jahre über Kontakt, nicht wahr? Ich habe die Briefe gefunden, sehr viele Briefe.«
»Ja, das ist richtig. Ich war sehr dankbar, Henry als Informanten, als Vermittler zu haben. Er erzählte mir von Emilia und fragte mich um Rat. Sein Plan war es, Emilia für immer beizustehen und sie nie aufzugeben. Er wollte ihr Gedächtnis, ihre Erinnerung sein.« George schüttelte den Kopf. »Ein guter Junge, wirklich. Und seine Absichten waren immer die besten, aber ... leider hat er den Zeitpunkt verpasst, an dem es klüger gewesen wäre, aufzugeben und sich von
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