Blood Romance 04 - Ruf der Ewigkeit
unterhalten uns immer noch sehr oft miteinander, auch wenn wir uns nicht mehr sehen können.«
»Wirklich?«
Dad nickt. »Ich erzähle ihm, was wir alles zusammen erleben und was mich ärgert und freut. Und wenn ich ein Problem habe, mit dem ich nicht allein weiterkomme, dann frage ich ihn um Rat. Ich lausche ganz, ganz tief in mich hinein und dann kann ich ihn hören. Und weißt du, warum?«
Ich schüttle den Kopf.
»Weil er seinen ganz eigenen Platz in meinem Herzen hat.«
» Wie ein eigenes Zimmer?«
»Ja, genau, er wohnt dort. Und von dort aus passt er auf mich auf.«
»Wirst du das auch tun?«, frage ich. »Wenn ich dich irgendwann mal nicht mehr sehen kann und Angst habe oder eine wichtige Frage, bist du dann trotzdem noch da und hilfst mir?«
Dad nickt. »Immer«, flüstert er und gibt mir einen Kuss. »Ich werde immer auf dich aufpassen, Kleines.«
»Auch auf Mom?«
»Natürlich, auch auf Mom. Aber ... jetzt siehst du mich ja noch ganz gut und deshalb darf ich dich auch ärgern.«
Er packt mich und kitzelt mich und ich kreische und lache und lache und kreische, bis mir der Bauch davon wehtut und uns Mama aus der Küche zuruft, wir sollen lieber endlich zum Kuchenessen kommen, anstatt so viel Krach zu machen.
May saß in ihrem letzten Kurs für diesen Tag und musste sich bemühen, die Augen offen zu halten, während Mrs Taylor irgendwelche mathematischen Formeln an die Tafel kritzelte. Eigentlich hatte sie die Schule noch einmal schwänzen wollen, aber dann war sie doch hingegangen - mehr, um sich abzulenken, als aus Interesse. Sie hatte nur wenig geschlafen und beinahe die ganze Nacht über ihr Gespräch mit George nachgedacht - und über dieses unglaubliche Geheimnis, welches er ihr anvertraut hatte. Sie verstand allmählich, weshalb besser niemand davon wissen sollte, vor allem kein Wesen der Ewigkeit, denn die Erkenntnis, dass man den Tod selbst in eine zeitlose Sphäre ohne Anfang und Ende einschleusen konnte, barg zugleich auch die Gefahr, sich zu schnell vor Verzweiflung aufzugeben. May hatte sich immer und immer wieder gefragt, was sie wohl getan hätte, wenn sie schon als Unsterbliche von dieser Möglichkeit erfahren hätte. Es hatte oftmals Phasen gegeben, in denen sie sich nichts sehnlicher gewünscht hatte, als irgendwann sterben zu dürfen wie jeder normale Mensch. Sie hatte sich geradezu nach dem Tod gesehnt, als sei er das Kostbarste auf Erden, wissend, dass er niemals ihren Weg kreuzen würde. Aber dann hatte sie Simon kennengelernt, der ihr die schönsten Momente ihres Daseins geschenkt hatte - und ein neues Menschenleben und somit auch den Tod am Ende ihres Weges.
May fragte sich, wo George die Nacht verbracht und ob er bereits seine Vorbereitungen für heute Abend getroffen hatte. Für jenen Schritt, der ihm mit Sicherheit nicht leichtfallen würde, sosehr er Emilias Handeln auch verurteilte. May ahnte, was in ihm vorgehen musste - er hatte das Gefühl, für all das Schreckliche, das vorgefallen war, mitverantwortlich zu sein, denn schließlich war er es, der Emilia zu einer Unsterblichen gemacht und es nicht geschafft hatte, ihr auf ihrem Weg zu helfen und sie eines Besseren zu belehren. Er hatte in seinen eigenen Augen versagt. Und nun blieb ihm nur eins: Emilia, seine Kreatur, sein Kind der Ewigkeit, eigenhändig zu beseitigen.
Es gongte und Mays Blick schnellte zu der großen Wanduhr. Es war gleich drei und somit höchste Zeit für sie zu gehen. Sie packte ihre Sachen zusammen, warf die Schulbücher in ihren Spind und machte sich auf den Weg. George hatte gute Arbeit geleistet und schnell herausgefunden, wo Dustins Motel lag. Und jetzt war sie an der Reihe. Hoffentlich würde alles gut gehen, hoffentlich schaffte sie es, ihre Aufgabe zu erfüllen.
Vorsichtig tastete sie nach dem kleinen Plastikröhrchen in ihrer Tasche. »Damit wird es funktionieren«, hatte George ihr gestern versichert.
»Und, Sarah, Schätzchen, wie fühlst du dich heute? Du siehst etwas müde und blass aus, so gar nicht fröhlich. Hast du etwa Angst, Jonathan könnte dich hängen lassen? Keine Sorge, das glaube ich nicht. Dafür ist er viel zu vernarrt in dich. Ich kenne diesen schmachtenden Ausdruck in seinen Augen. Ein klitzekleines bisschen ... könnte ich dich sogar dafür beneiden. dass du ihn mir nach so langer Zeit weggenommen hast. Aber ich werde ja hoffentlich noch entsprechend entschädigt.« Emilia lachte. »Ja, ja, man kann eben nicht alles haben, Sarah.«
Sarah starrte apathisch ins
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