Blood Romance 04 - Ruf der Ewigkeit
Nichts. Sie fühlte sich vollkommen leer und versuchte, Emilias Worte einfach zu überhören. Ihr willkürliches Erscheinen und Verschwinden durchs Fenster waren schon anstrengend genug. Nie konnte Sarah sich unbeobachtet fühlen. Heute war Dienstag, der letzte Tag ... Sie hatte schon lang nichts mehr von Jonathan gehört, er war noch nicht einmal zurückgekehrt, um nach seinem Handy zu suchen. Sarah wusste nicht, was dort draußen vor sich ging, ob May ihre Mailbox überhaupt abgerufen hatte oder Dustin schon in Gefangenschaft war. Sie konnte nichts weiter tun, als abzuwarten. Und das war das Schlimmste. Dieses tatenlose Herumsitzen und Warten zermürbte sie, machte sie allmählich wahnsinnig. Warten, warten, immer nur warten ... Sarah sehnte sich danach, dass endlich etwas geschah, irgendetwas. Sie konnte nicht mehr. Sollte sich Emilia doch auf sie stürzen und sie töten. Sarah fühlte sich ohnehin schon kaum mehr am Leben. Sie stand außerhalb der Welt, hatte seit Tagen keine frische Luft mehr geatmet, sich mit niemandem auf normale Weise unterhalten. Es reichte ...
Plötzlich hieb jemand gegen die Tür. Sarah blickte auf und Emilia schoss augenblicklich in die Höhe. Wieder klopfte es, dieses Mal noch heftiger und ungeduldiger als zuvor.
»Emilia? Mach auf, ich bin es.«
»Ach, sieh an, wenn man vom Teufel spricht«, zwitscherte Emilia. »Siehst du, Sarah, da ist dein tapferer Ritter ja endlich.« Sie schaute zu der riesigen Wanduhr. »Wird aber auch Zeit. Na, dann wollen wir doch mal sehen, was er uns Schönes mitgebracht hat.«
Sarahs Herz machte einen erschrockenen Satz. Ob Jonathan tatsächlich Dustin bei sich hatte? Einen kurzen Moment lang wünschte Sarah sich sogar, er möge gleich vor ihr stehen, damit sie ihm zumindest noch einmal in die Augen blicken durfte, ein letztes Mal vielleicht - denn wer wusste schon, was in Kürze geschehen würde! Sie glaubte nicht mehr an ein gutes Ende. Wie auch? Wie sollte es jetzt noch eine positive Wendung in dem ganzen Chaos geben können?
»Was, du bist allein? Wo ist Dustin? Du weißt, was passiert, wenn ich ihn heute bis Mitternacht nicht in meiner Gewalt habe!« Emilia fauchte Henry an wie eine Raubkatze und ihr Atem ging schnell und geräuschvoll. Sie wirkte schrecklich nervös und verärgert.
»Jetzt lass mich doch erst einmal herein.« Jonathan drängte sich an Emilia vorbei und lächelte Sarah mit einem Augenzwinkern zu. Dann ließ er sich auf einen Stuhl fallen und fischte einen zerknitterten Zettel aus seiner Jackentasche. »Kein Grund zur Aufregung, es läuft alles nach Plan.«
Was ist das? Was hast du da? Zeig her!« Emilia riss ihm den Brief aus der Hand und wandte sich damit ab. Als sie sich nach einiger Zeit wieder umdrehte, umspielte ein Lächeln ihre Lippen. »Wie reizend. Er will sich tatsächlich mit mir zum Kampf treffen«, säuselte sie. »Äußerst ehrenhaft... Und er glaubt an die Gerechtigkeit. Ha, auf einmal ist sie ihm etwas wert ... Ist das nicht unglaublich lustig?« Sie lachte aufgesetzt. »Nach so langer Zeit pocht der edle Herr auf Fairness und Gerechtigkeit ... Na, soll er ruhig hoffen, er wird schon sehen, was er davon hat. Ich spiele jedenfalls nach meinen eigenen Regeln.«
Sarah horchte auf. Dustin ... Er wollte sich also mit Emilia treffen, wollte sich mit ihr ... duellieren. Für sie, für Sarah. Mit einem Schlag fiel alle Benommenheit von ihr ab und sie wurde hellwach. Dustin kämpfte um ihre Liebe, um ihre Zukunft. Sarahs Herz raste. Vor Angst um Dustin, vor Aufregung und vor Dankbarkeit. Er hatte sie noch nicht aufgegeben. Nur sie selbst hatte aufgehört an ihn zu glauben, an sie beide. Sie hatte sich von dem Gedanken übermannen lassen, sie hätten keine Chance mehr. Das durfte ihr nicht noch einmal passieren. Er brauchte sie, er brauchte ihren Glauben an ihn, er würde es merken, wenn sie in Gedanken bei ihm war. Sie würde mit ihm kämpfen, im Geiste würde sie an seiner Seite stehen und ihn unterstützen. Es war noch nicht alles verloren. Dustin konnte Emilia immer noch besiegen. Und vielleicht hatte er einen Plan, vielleicht hatte May sogar ihre Nachricht erhalten und ihm geholfen.
»Heute Abend«, sagte Jonathan. »Er will sich heute Abend um acht mit dir treffen.«
»Ach, tatsächlich? Was für ein perfektes Timing. Pünktlich zum Ablauf meines Ultimatums.« Emilias Lächeln verschwand plötzlich aus ihrem Gesicht und ihre Augen verdüsterten sich. »Und du traust ihm wirklich über den Weg, Henry?«, zischte sie.
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