Blood Shot
verlassen. Zu Hause war er nicht. Auf gut Glück versuchte ich es im Golden Glow - Sal schließt erst um vier Uhr. Volltreffer.
»Vic! Ich kann's nicht fassen. Du konntest nicht schlafen und hast an mich gedacht. Ich seh' schon die Schlagzeile vor mir: >Liebeskummer raubt Detektivin den Schlaf<.«
»Und ich hab' geglaubt, es liegt an den Zwiebeln vom Abendessen. Erinnerst du dich an unsere kleine Unterhaltung von gestern?«
»Welche Unterhaltung? Ich hab' dir alles, was ich über den Fall Cleg-horn weiß, erzählt, und du bist dagesessen mit versiegelten Lippen.«
»Mir ist etwas eingefallen«, sagte ich schwach.
»Raus mit der Sprache. Du hast was gutzumachen, Warshawski.«
»Curtis Chigwell. Er ist Arzt und lebt in Hinsdale. Hat früher in einer Fabrik in South Chicago gearbeitet.«
»Hat er Nancy Cleghorn umgebracht?«
»Soviel ich weiß, hat er sie nie im Leben gesehen.«
»Es war ein harter Tag, V. I. Und ich hab' keine Lust, mit dir Verstekken zu spielen.«
Ich griff nach dem T-Shirt, das neben dem Bett am Boden lag. Nackt fühlte ich mich in dieser Nacht schutzlos. Während ich mich vorbeugte, sah ich im Schein der Lampe den Staub in der Ecke. Ich schwor mir zu saugen, falls ich die nächste Woche überleben sollte. »Curtis Chigwell weiß etwas, das er nicht sagen will. Vor vierundzwanzig Stunden wäre ich nicht im Traum auf die Idee gekommen, daß es etwas mit Nancy Cleghorn zu tun haben könnte. Aber heute abend habe ich einen Drohanruf bekommen, und mir wurde bedeutet, mich nicht mehr in South Chicago blicken zu lassen.«
»War Chigwell der Anrufer?«
»Nein. Ich dachte zuerst, Jurshak oder Dresberg würden dahinterstecken. Aber ein paar Stunden später hörte ich dasselbe von jemandem, der mich nur über Xerxes kennt - die Fabrik, in der Chigwell gearbeitet hat.«
Ich schilderte ihm die Widersprüche zwischen Manheims und Humboldts Version über den Prozeß von Pankowski und Ferraro, ohne ihm zu sagen, daß ich mit Humboldt persönlich gesprochen hatte. »Chigwell kennt die Wahrheit und den Grund, warum sie verschleiert wird. Aber er will nicht reden. Und wenn Xerxes mir droht, dann weiß er auch, warum.«
Murray versuchte auf zig Arten, mehr aus mir herauszukriegen. Über Caroline und Louisa wollte ich ihm nichts erzählen - Louisas unglückliche Vergangenheit sollte nicht zum Straßenklatsch Chicagos werden. Und über eine mögliche Verbindung zwischen Nancys Tod und Joey Pankowski wußte ich nichts. Schließlich sagte er: »Du hilfst mir kein Stückchen weiter, du willst nur, daß ich die Knochenarbeit für dich erledige. Aber es ist keine schlechte Story. Ich werde morgen jemand rausschicken, der sich den Typ vorknöpfen soll.«
Nachdem er aufgelegt hatte, schlief ich wieder ein, aber um halb sieben war ich endgültig wach. Ein weiterer grauer Februartag. Mir wäre statt dieses ständigen feuchten, kühlen Wetters richtige Kälte und Schnee lieber gewesen. Ich zog meinen Trainingsanzug an, machte meine Dehnübungen und klopfte gewissenlos an Mr. Contreras Tür, bis ihn der Hund wachgebellt hatte. Wir liefen zum See und wieder zurück. Ab und zu blieb ich stehen, um einen Schnürsenkel zu binden, die Nase zu putzen, für Peppy ein Stück Holz zu werfen - Manöver, die es mir erlaubten, mich umzusehen. Ich hatte nicht das Gefühl, verfolgt zu werden.
Nachdem ich den Hund wieder abgeliefert hatte, ging ich in den Imbiß an der Ecke und frühstückte Pfannkuchen. Wieder zu Hause, zog ich mich um und überlegte, ob ich Louisa besuchen sollte. Vielleicht konnte sie mir etwas über Carolines Verhalten erzählen. Dann rief Ellen Cleg-horn an. Sie war völlig aufgelöst: Nancys Haus in South Chicago, das sie aufgesucht hatte, um Nancys private Unterlagen zu holen, war auf den Kopf gestellt worden.
»Auf den Kopf gestellt?« wiederholte ich verständnislos. »Woher wissen Sie das?«
»Woher ich es weiß? Ich hab's gesehen, Victoria. Alles ist kurz und klein geschlagen. Nancy hatte nicht viele Sachen, und bislang waren nur ein paar Zimmer hergerichtet. Die Möbel sind demoliert, und überall liegen Papiere verstreut.«
Mich fröstelte. »Hört sich nach wildgewordenen Einbrechern an. Wissen Sie, ob etwas fehlt?«
»Ich hab' gar nicht versucht, das festzustellen.« In ihrer Stimme war ein nervöses Schluchzen. »Ich hab' nur einen Blick in ihr Schlafzimmer geworfen, und dann bin ich sofort wieder hinausgelaufen. Ich - ich habe gehofft, du könntest herkommen und mit mir in das Haus gehen. Ich
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