Blood Shot
Stapel alter Notizblocks und Schulhefte zog ich ein Damespiel hervor, mit dem sich früher mein Vater und Bobby Mal-lory oft die Zeit vertrieben hatten. Peppy kehrte zufrieden zu ihrem Knochen hinter dem Klavier zurück, und wir spielten vier oder fünf Partien. Mr. Contreras war gerade widerwillig aufgestanden, als es klingelte. Der Hund knurrte laut. Der alte Mann, höchst aufgeregt, drängte mich, meinen Revolver zu holen. Er selbst wollte die Vordertreppe hinuntergehen, während ich über die Hintertreppe fliehen und Hilfe holen sollte.
»Ach, Quatsch«, sagte ich. »Niemand wird mich in meiner eigenen Wohnung erschießen, zwei Stunden nachdem man mich bedroht hat - sie werden mindestens bis morgen warten, um zu sehen, ob ich mich an ihren Rat halte.« Ich ging zum Haustelefon neben der Wohnungstür.
»Vic! Laß mich rein! Ich muß mit dir sprechen.« Es war Caroline Djiak.
Ich drückte auf den Türöffner und trat in den Hausflur. Peppy wedelte mit ihrem goldenen Schwanz, um ihre Wachsamkeit kundzutun. Caroline rannte die Treppe herauf, es klang wie das Stottern eines uralten Motors. »Vic!« kreischte sie bei meinem Anblick. »Bist du wahnsinnig geworden? Ich hab' dir doch gesagt, du sollst nicht weiter nach meinem Vater suchen. Warum kannst du nicht einmal im Leben tun, was ich dir sage?«
Peppy, die an ihrem Geschrei Anstoß nahm, begann zu bellen. Ein Mieter aus dem zweiten Stock schoß auf den Gang hinaus und schrie zu uns hinauf, wir sollten den Mund halten. »Schon mal was davon gehört, daß Leute arbeiten müssen?«
Bevor Mr. Contreras einschreiten konnte, ergriff ich Caroline fest am Arm und zog sie in die Wohnung. Mr. Contreras musterte sie kritisch. Nachdem er zu dem Schluß gekommen war, daß sie keine Gefahr darstellte - zumindest keine akute physische Bedrohung -, streckte er ihr eine schwielige Hand entgegen und stellte sich vor.
Caroline legte heute auf Höflichkeitsfloskeln keinen Wert. »Vic, ich bitte dich. Ich bin den ganzen weiten Weg hierher gekommen, weil du am Telefon nicht mit mir reden willst. Kümmer dich bitte nicht mehr um meine Angelegenheiten.«
»Caroline Djiak«, informierte ich Mr. Contreras. »Sie ist ziemlich durcheinander. Vielleicht sollten Sie mich mit ihr allein lassen, damit wir uns in Ruhe unterhalten können.«
Er sammelte das Geschirr ein, und ich zog Caroline zum Sofa. »Was ist los, Caroline? Was jagt dir solche Angst ein?«
»Ich habe keine Angst«, schrie sie. »Ich bin wütend. Wütend auf dich, weil du nicht tust, worum ich dich gebeten habe.«
»Sieh mal, Mädchen, ich bin kein Fernsehapparat, den man einfach ein- und ausschaltet. Den Besuch bei deinen Großeltern könnte ich noch vergessen - die sind so krank, daß sowieso Hopfen und Malz verloren ist. Aber bei Humboldt verbreiten sie Lügen über die Männer, mit denen deine Mutter gearbeitet hat und von denen möglicherweise einer dein Vater war. Das kann ich mir nicht gefallen lassen. Und es sind keine banalen Lügen, die sie verbreiten. Sie erfinden praktisch die letzten Lebensjahre dieser Typen neu.«
»Vic, du verstehst mich nicht.« In ihrer Aufregung griff sie nach meiner rechten Hand und drückte sie fest. »Diese Leute kannst du nicht hinters Licht führen. Sie sind absolut skrupellos und zu allem fähig.«
»Wozu zum Beispiel?«
Sie sah sich hektisch im Zimmer um und suchte nach Worten. »Sie könnten dich umbringen, zum Beispiel. Sie könnten dafür sorgen, daß du wie Nancy im Sumpf endest oder im Fluß!«
Mr. Contreras gab nicht mehr vor, gehen zu wollen. Ich entzog meine Hand Carolines Griff und sah sie kalt an. »Okay. Ich will jetzt die Wahrheit wissen. Und nicht irgendeine beschönigte Version. Was weißt du über die Leute, die Nancy umgebracht haben?«
»Nichts, Vic. Nichts. Ehrenwort. Du mußt mir glauben. Es ist nur.. .nur ... «
»Nur was?« Ich faßte sie bei den Schultern und schüttelte sie. »Wer hat Nancy bedroht? Die letzte Woche hast du behauptet, es wäre Art Jurshak gewesen, weil er was gegen die Recyclinganlage hat. Willst du es jetzt den Xerxes-Leuten in die Schuhe schieben, weil ich dort nach deinem Vater gesucht habe? Verdammt noch mal, Caroline, verstehst du nicht, wie wichtig das ist? Verstehst du nicht, daß es hier um Leben und Tod geht?«
»Das ist es doch, was ich dir beibringen will, Vic!« Sie schrie so laut, daß der Hund wieder zu bellen anfing. »Deswegen sag' ich dir doch, du sollst dich um deine eigenen Angelegenheiten kümmern!«
»Caroline!«
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