Blood Shot
Morgenschicht nachsehen kam, ob wir während der Nacht verschieden waren, machte sie ihrem Ärger darüber, daß sie geweckt wurde, mit der nasalen Trompetenstimme des Chicagoer Nordwestens Luft. Um halb neun, als Lotty vorbeischaute, war ich willens, mich in jede andere Abteilung einschließlich der psychiatrischen verlegen zu lassen, nur um den Obszönitäten und dem Zigarettenrauch zu entkommen.
»Egal, wie es mir geht«, sagte ich gereizt, »unterschreib meinen Entlassungsschein und laß mich hier raus. Wenn's sein muß, geh' ich im Nachthemd.«
Lotty warf einen schrägen Blick auf das Kaugummipapier und die Schachtel Zigaretten auf dem Boden. Sie zog die Augenbrauen in die Höhe, als hinter dem Vorhang, wo ein Assistenzarzt eine Untersuchung durchzuführen versuchte, ein Schwall von Flüchen zu hören war.
»Die Oberschwester sagte mir, du hättest dich deiner Bettnachbarin gegenüber rüde benommen, und deswegen haben sie dir jemand ins Zimmer gelegt, der deiner Persönlichkeit besser entspricht. Hast du deinen Ärger an ihr abreagiert?« Sie begann, meine Schultermuskeln zu kneten.
Anschließend untersuchte sie meine Augen. »Wunderbarerweise hast du keine inneren Verletzungen oder Brüche. Noch ein paar Behandlungen in den nächsten Tagen werden deinen Muskeln gut tun, aber erwarte nicht, daß sie über Nacht heilen. Muskelfaserrisse schmerzen oft noch ein Jahr, wenn man die Muskeln nicht schont. Ja, du kannst nach Hause - wir können ambulant behandeln. Wenn du mir deinen Schlüssel gibst, wird Carol dir bis Mittag was zum Anziehen bringen.«
Die Schlüssel hatte ich am Mittwochmorgen, bevor ich losgelaufen war, am Schnürsenkel festgebunden. Lotty hatte sie gerettet, bevor sie alles, was ich noch am Körper hatte, als ich eingeliefert wurde, wegwerfen ließ.
Sie stand auf und sah mich ernst an. Als sie sprach, war ihr Wiener Dialekt stärker als sonst. »Ich bitte dich, sei vorsichtig, Victoria. Ich bitte dich darum, obwohl du in Gefahr und Tod verliebt zu sein scheinst. Du machst allen das Leben schwer, die dich von Herzen mögen.«
Mir fiel nichts ein, was ich darauf hätte sagen können. Lotty schüttelte den Kopf und ging. Die Urteile über meinen Charakter während der letzten vierundzwanzig Stunden waren nicht gerade zu meinem Vorteil ausgefallen: hartgesotten, kaltherzig, verliebt in Gefahr und Tod; treibt ängstliche Mitpatientin aus dem Zimmer. Eine Stunde später wurde ich zur Behandlung abgeholt und trottete geknickt in den Keller. Heute nahm ich die Krankenhausrituale, die die Patienten entmündigen, einmal ohne zu murren hin.
Nach der Behandlung flüchtete ich vor meiner fluchfreudigen Zimmergenossin und las im Aufenthaltsraum alte Illustrierte und Sportzeitschriften. Carol Alvarez, Lottys Assistentin, kam kurz vor zwei. Sie begrüßte mich herzlich, umarmte und küßte mich und bedauerte mich wegen meines Martyriums. »Sogar Mama hat für deine Sicherheit zur heiligen Jungfrau gebetet, Vic.« Das wollte was heißen - Mrs. Alvarez strafte mich üblicherweise mit wortloser Verachtung.
Carol hatte Jeans, ein Sweatshirt und Stiefel mitgebracht. Sie half mir bei der Entlassung, alles ging sehr schnell. Aber mein Kopf fühlte sich an, als wäre er vollgestopft mit Baumwolle, weit weg nicht nur von meinem Körper, sondern von allem um mich herum. Seit meinem schicksalschweren Lauf waren erst zwei Tage vergangen, aber mir kam es vor, als wäre ich Monate aus der Welt gewesen. Meine Füße waren nicht mehr an Schuhe gewöhnt, und die Jeans engten meine Bewegungsfreiheit ein. Obwohl sie nicht so eng saßen wie früher - die letzten paar Tage hatten mich mindestens fünf Pfund gekostet.
Mr. Contreras wartete bereits, als wir zu Hause eintrafen. Er hatte ein breites rotes Band um Peppys Hals gebunden und sie so lange gestriegelt, bis ihr Fell selbst an diesem trüben grauen Tag glänzte. Carol übergab mich den beiden und verabschiedete sich mit einem Kuß. Ich hätte es vorgezogen, allein zu bleiben, um meine Gedanken zu ordnen, aber er hatte sich das Recht verdient, mich zu bemuttern. Ich ließ mich also von ihm zu einem Sessel geleiten, ließ zu, daß er mir die Stiefel auszog und behutsam eine Decke um meine Beine und Füße wickelte. Er hatte eine köstliche Käseplatte mit Obst vorbereitet, die er zusammen mit einer Kanne Tee neben mich stellte. »So, Schätzchen, ich lass' die Prinzessin hier, damit sie Ihnen Gesellschaft leistet. Wenn Sie irgendwas brauchen, rufen Sie einfach an. Ich
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