Blood Sun
hinterher, denn er wollte seinen Freund nicht aus den Augen verlieren. Xaviers Beine strampelten in der Luft, er schlug mit den Armen um sich und schrie wie am Spieß. Max hatte keine andere Wahl. Er sprang dem schwächer werdenden Licht nach. Er wusste nicht, ob Flint dies mitbekommen hatte, und rief deshalb seinen Namen, während er hinabsauste.
Zwei Sekunden später hörte Max Xaviers Körper ins Wasser platschen, gleich darauf folgte das Zischen der erlöschenden Fackel. Ihm schoss durch den Kopf, dass es höchstens noch zwei Sekunden dauern konnte, bis er selbst unten ankam.
Dann war er schon im Wasser. Die Luft wurde ihm aus der Lunge gedrückt. Er trat kräftig mit den Füßen und kam schnell an die Oberfläche. Sogleich fiel ihm das Licht auf, das in der Ferne schimmerte.
»Xavier!«, schrie Max. Seine Stimme wurde von den Felswänden zurückgeworfen.
Kaum hatte er nach seinem Freund gerufen, ertönte ein paar Meter neben ihm ein gewaltiges Platschgeräusch. Orsino Flint war ihm nachgesprungen.
»Xavier!«, schrie Max noch einmal. Diesmal hörte er den Jungen, der um Hilfe rief.
Er sah, wie Xavier sich an einen Felsbrocken klammerte. Der Junge hatte Glück gehabt. Das tiefe Wasser hatte ihn vor einer harten Landung bewahrt und die sachte Strömung hatte ihn an eine flachere Stelle gespült. Aber dort hatte er sich den Fuß unter einem Stein eingeklemmt und bekam ihn nicht mehr frei.
Das Licht war jetzt heller. Sie waren nicht weit von der Stelle entfernt, wo der Fluss ans Tageslicht trat. Max hörte Flint hinter sich durchs Wasser schwimmen. Sein Strohhut war durchweicht, saß jedoch immer noch an seinem Platz.
Flint blutete am Hals und im Gesicht. Max bemerkte, dass auch er einige Verletzungen davongetragen hatte, doch im Moment machte er sich viel größere Sorgen um Xavier. Das Bein seines Freundes war, soweit er dies beurteilen konnte, zwar nicht gebrochen, klemmte aber in einem ungünstigen Winkel unter dem Fels. Wenn er einfach nur daran zog, richtete er womöglich großen Schaden an. Max rammte seinen Speer unter den Felsbrocken und versuchte ihn mit aller Kraft ein Stück weit hochzuhebeln.
»Zieh ihn raus!«, presste Max zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Doch Xavier schaffte es nicht. »Fassen Sie ihn an den Schultern, Flint. Fertig?«
Max ächzte vor Anstrengung, fand einen Stein, gegen den er sich mit dem Bein stemmen konnte, und hebelte den Fels etwas weiter hoch. Xavier konnte sein Bein gerade noch rechtzeitig herausziehen, bevor der Speer entzweibrach. Max fiel rückwärts ins Wasser, tat sich aber nicht weh.
Dankbar fiel Xavier Max um den Hals und redete auf Spanisch auf ihn ein. Max erwiderte die Umarmung und drückte ihn dann sanft von sich weg.
»Übersetzt heißt da s …«, begann Flint. »Ach, das willst du gar nicht wissen. Es ist einfach zu peinlich.« Dann wandte er sich an Xavier und sagte etwas auf Patois, woraufhin der Junge schuldbewusst den Kopf senkte. »Ich habe ihm gesagt, dass du ihm nachgesprungen bist und ihn schon wieder gerettet hast. Und ich habe ihm auch gesagt, dass er das gar nicht wert ist. Jetzt sollten wir aber schleunigst zusehen, dass wir hier rauskommen.«
»Sehen Sie sich erst mal sein Bein an. Ich schau mich schon mal draußen um«, erwiderte Max.
Er watete zur Felsspalte, durch die das Wasser ins Freie strömte. Bevor es leise sprudelnd in der Tiefe verschwand, floss es über einen länglichen Felsüberhang.
Max trat hinaus und konnte nun einen Großteil des Tals überblicken. Er sah riesige Regenwaldflächen und wolkenverhangene Berge. Die untergehende Sonne tauchte das Wasser zu seinen Füßen in rotes Licht.
Max kam sich vor wie im Paradies: Bäume und blühende Pflanzen wiegten sich im Wind. Der Wasserfall schien ihm etwas zuzuflüstern und in der Ferne zogen Wolken vorbei und gaben den Blick auf den Vulkan frei, den er von dem Foto seiner Mutter kannte.
Er war im verbotenen Land.
Ein Krieger blickte vom Dschungel zur Felsspalte hinauf. Er hatte die Aufgabe, die Höhle der Steinschlang e – das Portal zur Unterwel t – zu bewachen. Aber jetzt bekam er es mit der Angst zu tun.
Der Überlieferung zufolge waren die Speerwerfer anderen Kriegern bei Dschungelkämpfen unterlegen, weil sie ihre Lanzen in dem dichten Unterholz nicht erfolgreich einsetzen konnten. Ein neuer Clan war entstanden, der kürzere, mit Steinspitzen besetzte Speere trug. Diese Krieger gingen im Nahkampf meist als Sieger hervor.
Der Mann beobachtete, wie eine
Weitere Kostenlose Bücher