Blood Sun
Max flehte sie an, noch nicht aufzugeben.
Die Höhle wurde zu einem gewundenen Tunnel und immer rutschiger. Wenn sie bei dem starken Gefälle den Halt verlören, würden sie ins Unbekannte geschleudert werden. Max spürte einen Windhauch im Gesicht und seine Fackel flackerte, als er an den Rand eines schwarzen Lochs kam. Es war nicht breiter als ein menschlicher Körper. Irgendwo weiter unten hörte er Wasser.
Als Xavier und Flint ihn eingeholt hatten, knieten sie nieder und spähten in den Abgrund. Max hielt die Fackel so weit hinein, wie er konnte. Sie sahen, dass der Schacht eine Kurve beschrieb. Vermutlich konnte man hinabsteigen wie durch einen Schornstein. Die Frage war nur, wie lang dieser Weg war.
»Ich glaube, wir müssen eine Fackel opfern«, sagte Max. »Meine hält sowieso nicht mehr lange.«
In den besorgten Mienen von Flint und Xavier sah er seine eigenen Befürchtungen gespiegelt. Sollten sie sich wirklich dort hinunterwagen?
Er ließ seine Fackel in das Loch fallen. Sie flackerte auf und beleuchtete den Schacht für ein paar Sekunden, bevor sie erlosch. Max zählte im Stillen mit. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzi g – dann hörten sie den Aufprall. Max kam auf vier Sekunden. Er wusste nicht genau, wie er das umrechnen sollte, aber seiner Schätzung nach ging es ungefähr fünfzehn oder zwanzig Meter in die Tiefe. Und wo würden sie dann landen? In seichtem Wasser, wo sie sich die Beine brachen? Oder in einem Strudel, der sie herunterzog?
Es musste noch einen anderen Weg geben. Max glaubte nicht, dass seine Mutter dieses unkalkulierbare Risiko eingegangen war. Außerdem hatten sie die Skelette von Menschen gesehen, die zum Eingang der Höhle gekrochen waren. Sie konnten unmöglich vom Fluss zur Höhle heraufgeschwebt sein.
»Wir müssen zurückgehen«, sagte Max zu den anderen. »Wir können nicht riskieren, da reinzuspringen. Flint, Sie gehen voran. Wenn wir uns über einem unterirdischen Fluss befinden, gibt es vielleicht einen Abstieg nach unten.«
Flint und Xavier nickten zustimmend.
Xavier biss sich auf die Unterlippe. » Chico , du weißt ja, ich kann nicht schwimmen. Vielleicht sollten wir dahin zurückgehen, wo wir hergekommen sin d – in den Wald. Da draußen haben wir wenigstens eine Chance.«
»Mach, was du willst«, sagte Max. »Ich werde dich ganz bestimmt nicht aufhalten.«
Max behielt Flint im Auge, der sich vorsichtig zwischen den schartigen Stalaktiten hindurchzwängte.
Das sanfte Licht von Flints Fackel warf Schatten. Xavier betrachtete den Jungen neben sich von oben bis unten.
Max’ Haare waren verfilzt und die Knöchel aufgeschürft. Er hatte Kratzer im Gesicht, war mit Erde und Schmutz beschmiert und wirkte mit dem Speer wie ein urzeitlicher Jäger. Max Gordon sah nicht wie ein normaler Schuljunge, sondern richtig gefährlich aus.
»Hast ja echt ’ne gigantische Schlange getötet, was?«, sagte Xavier.
Max nickte. Er wollte nicht darüber reden. Er würde das grässliche Bild sowieso nie mehr aus dem Kopf bekommen.
»Okay. Vielleicht bleib ich ja weiter bei dir. Du wirst uns hier rausholen.«
»Da würde ich aber nicht drauf wetten«, entgegnete Max.
»Ich schon«, sagte Xavier. »Du musst deinen Schutzengeln vertrauen, Cousin.«
Flint rief: »Da drüben. Schaut mal! Da führt ein Weg nach unten.«
Xavier lächelte. »Mit dir könnte ich richtig Geld verdienen, Max.«
Sie gingen zu Flint, dessen Fackel eine Art Treppe beleuchtete. Irgendwann, vielleicht vor Tausenden von Jahren, hatte jemand grobe Stufen und Griffe in die Felswand geschlagen. Die Stufen waren nur so breit wie ein Mensch.
Max nahm Flints Fackel. »Na schön, schauen wir uns mal an, wo uns dieser Weg hinführt.«
Sie waren gerade mal ein paar Meter weit hinuntergestiegen, als Max sie zurückhielt. Irgendetwas stimmte nicht. Die aufsteigende Luft roch nach Ammoniak. Sie brachte ihre Augen zum Brennen und schnürte ihnen die Kehlen zu.
Und dann hörten sie lautes Flügelschlagen und Gekreische. Es klang so, als hätte jemand die Deckel von den Särgen der Untoten gehoben.
Vampirfledermäuse stiegen aus der Tiefe empor.
Cazamind saugte an seinem Finger und hoffte, mit dem Druck seiner Zunge den Blutfluss stoppen zu können. Die kleinen Verletzungen taten doch immer am meisten weh: ein Rosendorn, ein angestoßener Zeh und da s – ein eingerissener Fingernagel. Der Schweizer Kontrollfreak hatte eine schlechte Angewohnheit entwickelt. Er kaute auf den
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