Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
Außerdem wusste ich, dass es hier um mehr ging als um Ehre. Trey und ich waren Freunde – und wir hatten mehr gemeinsam, als mir jemals bewusst gewesen war. Wir gehörten beide Gruppierungen an, die unser Leben kontrollieren wollten, und das oft auf eine Art und Weise, die uns nicht gefiel. Außerdem hatten wir dominante Väter. Wenn Trey und ich nicht derart entgegengesetzte Ziele gehabt hätten, hätten wir über das alles vielleicht sogar lachen können.
»Ich werde fragen«, erklärte Trey. Irgendetwas sagte mir, dass er dabei ebenfalls an unsere Ähnlichkeiten dachte. »Weil du es bist. Aber ich kann nichts versprechen.«
»Dann frag jetzt«, knurrte Eddie. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Und Sonya wohl auch nicht.«
Trey leugnete es nicht. Ich zögerte und fragte mich plötzlich, ob es eine kluge Entscheidung gewesen war. Was würde geschehen, wenn wir Trey aus den Augen ließen? Wäre es nicht besser, wenn wir ihn wirklich zu Dimitri schleppten? Und Sonya … wie viel Zeit bliebe ihr noch?
»Jetzt gleich«, wiederholte ich. »Du musst dich sofort mit ihnen in Verbindung setzten. Geh nicht in den Unterricht.« Wahrscheinlich war es das erste und einzige Mal, dass ich diese Worte sagte.
»Ich schwöre es«, erwiderte Trey. »Ich werde sie sofort anrufen.«
Es läutete, und damit war unsere Zusammenkunft beendet. Wenn wir jedoch die Chance gehabt hätten, Sonya in diesem Moment zu retten, so hätte jeder meiner Freunde auf der Stelle den Campus verlassen, das wusste ich. Wir ließen Trey gehen, und er machte sich wieder auf den Weg zu seinem Wohnheim, nicht zu unserem Unterricht. Angeline – deren Suspendierung vor Kurzem aufgehoben worden war – verschwand mit Jill, während Eddie und ich in unseren Geschichtskurs gingen.
»Das war ein Fehler«, sagte er mit grimmiger Miene, während er Trey nachsah. »Nachdem, was wir wissen, macht er sich auf und davon, und wir haben jede Chance verloren, Sonya zurückzuholen.«
»Das glaube ich nicht«, gab ich zurück. »Ich kenne Trey. Er ist ein guter Mensch, und ich konnte erkennen, dass er sich – was Sonya betrifft – nicht hundertprozentig sicher ist, selbst wenn er glaubt, dass Strigoi ausgelöscht werden müssen. Er wird tun, was er kann. Ich glaube, er ist zurzeit hin- und hergerissen, gefangen zwischen dem, was sie ihm sein Leben lang eingetrichtert haben, und dem, was er mit eigenen Augen zu sehen beginnt.«
Klingt das nicht nach jemand anderem, den du kennst?, fragte eine innere Stimme.
Ich hatte irgendwie gehofft, dass Trey mir sofort eine Antwort geben würde – so etwa bis zum Chemiekurs. Aber er war an diesem Tag weder dort noch irgendwo sonst in der Schule. Ich nahm also an, dass so etwas Zeit brauchte, und meine Geduld und mein Vertrauen in ihn wurden am Ende des Tages mit einer SMS von ihm belohnt: Stelle noch Nachforschungen an. Einige sind bereit zu reden. Andere müssen überzeugt werden.
Eddie wertete Treys Nachricht, als ich sie ihm zeigte, zwar nicht als handfesten Beweis, aber Trey hätte sich wohl nicht gemeldet, wenn er die Stadt verlassen hätte. Eddie wollte sich mit Dimitri treffen und Strategien angesichts dieser neuen Entwicklung erörtern. Also beschlossen wir, einen Gruppenausflug ins Stadtzentrum zu unternehmen. Ich sandte den Ruf zu unserer Familie aus, sich in einer halben Stunde draußen vor dem Ostwohnheim zu treffen. Jill traf als Erste ein, und bei meinem Anblick blieb sie stehen.
»Wow, Sydney … dein Haar.«
Ich hatte gerade eine SMS von Brayden beantwortet und ihm mitgeteilt, dass ich dieses Wochenende nicht mit ihm verbringen könne, doch bei Jills Worten blickte ich auf. »Was ist mit meinem Haar?«
»Die Art, wie diese Stufen gestylt sind. Sie betonen perfekt dein Gesicht.«
Wieder sah sie mich so seltsam an. »Hm, ja«, sagte ich in der Hoffnung, das Thema wechseln zu können. »Es ist, ähm, ein guter Haarschnitt. Tut mir leid, dass wir vorhin Micah loswerden mussten.«
Es dauerte einige Sekunden, aber meine ablenkende Bemerkung riss sie aus ihrer Verzückung über meine Haare. »Oh, nein … nein. Schon gut. Ich meine, unser Verhältnis wird sowieso immer seltsamer.«
»Ach, ja?« Micah hatte bei unserer letzten Begegnung so munter gewirkt wie eh und je. »Ihr beiden habt immer noch Probleme?«
»Na ja … ich habe welche. Ich mag ihn wirklich. Ich hänge einfach gern mit ihm und seinen Freunden herum. Aber ich muss doch immer wieder daran denken, dass nichts zwischen uns sein kann. Wie heute
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