Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
oder ein Spezialkurs nach der Schule. Erzähl mir bitte etwas mehr über deine … ähm, Athenerinnen.«
Ich versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken. Ich bewunderte seine Absichten, wusste jedoch, dass ihm nicht wirklich nach einer Geschichtslektion zumute war. Wieder einmal fragte ich mich, was hier gespielt wurde. Warum heuchelte er Interesse? Ich versuchte, eine Antwort zustande zu bringen, die nicht länger als sechzig Sekunden dauern würde.
»Die meisten Athenerinnen waren nicht gebildet. Sie blieben meist im Haus und sollten einfach Kinder bekommen und den Haushalt führen. Die fortschrittlichsten Frauen waren die Hetären. Eine Hetäre war eine Art Unterhaltungskünstlerin und zugleich erstklassige Prostituierte. Sie war gebildet und etwas stärker zurechtgemacht als die anderen Frauen. Mächtige Männer hielten ihre Frauen zu Hause, damit sie die Kinder großzogen, und hatten ihren Spaß lieber mit den Hetären.« Ich zögerte, weil ich nicht wusste, ob er etwas von alledem verstanden hatte. »Wie schon gesagt, es ist wirklich nicht wichtig.«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Adrian nachdenklich. »Ich finde Prostituierte ungemein wichtig.«
»Aha. Wie erfrischend zu sehen, dass sich nichts verändert hat«, ertönte eine neue Stimme.
Wir zuckten beide zusammen und sahen zu dem finster blickenden Mann auf, der gerade eingetroffen war.
Adrians Vater.
Kapitel 9
D iejenigen unter uns, die wussten, wonach sie suchen mussten, konnten Moroi sofort an ihrem blassen Gesicht und dem hohen, schlanken Körperbau erkennen. Die meisten Menschen fanden diese Eigenschaften auffällig, aber sie waren noch kein Indiz für einen Vampir. Menschen bemerkten nur, dass diese Leute atemberaubend und ungewöhnlich waren, wie zum Beispiel Lia, die in Jill das perfekte ätherische Laufstegmodel sah.
Ich wollte keine Stereotypen bemühen, aber nach einer schnellen Einschätzung von Mr Ivashkovs Blässe, die so typisch für Moroi war, seinem schmalen, langen Gesicht, seinem mürrischen Ausdruck sowie dem silbernen Haar, fragte ich mich irgendwie, warum er nicht häufiger für einen Vampir gehalten wurde. Nein, Vampir war eigentlich nicht der richtige Ausdruck, fand ich. Eher Bestatter.
»Dad«, sagte Adrian steif. »Immer wieder ein Vergnügen.«
»Für einige von uns.« Sein Vater musterte mich, und ich merkte, dass sein Blick auf meine Wange fiel. Er streckte die Hand aus. Ich ergriff sie, stolz darauf, dass ein Händedruck mit einem Moroi für mich jetzt nichts Besonderes mehr war. »Nathan Ivashkov.«
»Sydney Sage«, erwiderte ich. »Freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Sir.«
»Ich habe Sage kennengelernt, als ich hier rumgegammelt habe«, erklärte Adrian. »Sie war so nett, mich heute von L. A. herzufahren, da ich keinen Wagen habe.«
Nathan sah mich erstaunt an. »Das ist eine lange Fahrt.« Nicht annähernd so lang wie die Fahrt von Palm Springs zwar, aber wir hatten gedacht, es sei das Sicherste – und wesentlich glaubwürdiger – , ihn im Glauben zu lassen, Adrian hielte sich in Los Angeles auf.
»Das macht mir nichts aus, Sir«, antwortete ich und blickte zu Adrian hinüber. »Ich werde etwas arbeiten. Schickst du mir eine SMS , wenn du wieder aufbrechen möchtest?«
»Arbeiten?«, fragte er angewidert. »Komm schon, Sage! Kauf dir einen Bikini und genieß den Pool, während du hier rumhängst.«
Nathan warf ungläubige Blicke zwischen uns hin und her. »Du hast dich von ihr hier herfahren lassen, und jetzt soll sie hier warten, weil es für dich bequem ist?«
»Wirklich«, sagte ich. »Es macht nichts … «
»Sie ist eine Alchemistin«, fuhr Nathan fort. »Kein Chauffeur. Das ist ein großer Unterschied.« Tatsächlich gab es Tage in der Amberwood, da hatte ich daran so meine Zweifel. »Kommen Sie, Ms Sage. Wenn Sie Ihren Tag damit verschwendet haben, meinen Sohn hierher zu fahren, ist eine Einladung zum Lunch das Geringste, was ich für Sie tun kann.«
Ich warf Adrian einen panischen Blick zu. Er war nicht panisch, weil ich Angst davor hatte, mit Moroi zusammen zu sein. An solche Situationen hatte ich mich schon längst gewöhnt. Was mich aber unsicher machte, war die Frage, ob mich Adrian bei seinem Familientreffen wirklich dabeihaben wollte. Das war nicht Teil des Plans gewesen. Außerdem wusste ich wirklich nicht recht, ob ich bei besagtem Wiedersehen zugegen sein wollte.
»Dad … «, setzte Adrian an.
»Ich bestehe darauf«, erklärte Nathan energisch. »Pass auf und lerne, was sich
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