Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
gehört.« Er drehte sich um und ging voraus. Wir folgten.
»Soll ich einen Grund erfinden, warum ich gehen muss?«, flüsterte ich Adrian zu.
»Nicht, wenn er seine ›Ich-bestehe-darauf‹-Stimme einsetzt«, kam die gemurmelte Antwort.
Bei der Aussicht, auf der überwältigenden Terrasse zu sitzen und den sonnigen Ausblick über den Ozean zu genießen, glaubte ich, mit den Ivashkovs vielleicht doch fertig werden zu können. In dieser Wärme und Schönheit zu sitzen, war das Drama schon wert. Dann schritt Nathan direkt an den Terassentüren vorbei und führte uns zum Aufzug. Gehorsam folgten wir ihm. Er brachte uns ins Erdgeschoss des Hotels hinunter, in einen Pub, der den Namen Korkenzieher hatte. Der Raum war dunkel und fensterlos. Holzbalken hingen tief herab, und die Nischen waren mit schwarzem Leder ausgeschlagen. Eichenfässer säumten die Wände, und was es hier an Licht gab, sickerte aus roten Glaslampen. Abgesehen von einem einsamen Barkeeper war der Pub leer, was mich zu dieser Tageszeit nicht gänzlich überraschte.
Was mich hingegen überraschte, war die Tatsache, dass Nathan uns hierher gebracht hatte statt in das vornehmere Freiluftrestaurant. Der Bursche trug einen teuren Anzug und sah so aus, als käme er direkt aus einer Vorstandsetage in Manhattan. Warum er ein trendiges, elitäres Restaurant fürs Mittagessen ignorierte und stattdessen ein stickiges, dunkles …
Dunkles.
Innerlich stöhnte ich. Natürlich war die Terrasse keine Option, nicht für einen Moroi. Das Mittagessen wäre für die Ivashkovs an diesem sonnigen Nachmittag ziemlich elend ausgefallen – nicht, dass einer von beiden den Eindruck erweckte, er würde dieses Mittagessen unter irgendwelchen Bedingungen genießen.
»Mr Ivashkov«, begrüßte ihn der Barkeeper. »Schön, Sie zu sehen.«
»Kann ich die Mahlzeit wieder hier unten einnehmen?«, fragte Nathan.
»Selbstverständlich.«
Wieder. In diesem unterirdischen Bau hatte Nathan wahrscheinlich seit seiner Ankunft in San Diego die meisten seiner Mahlzeiten eingenommen. Ich verschwendete einen letzten sehnsüchtigen Gedanken an die Terrasse und fand mich mit meinem Schicksal ab. Nathan wählte einen Ecktisch für acht Personen. Vielleicht hatte er gern viel Platz. Oder vielleicht tat er auch gern so, als würde er eine Sitzung seiner Firma leiten. Der Barkeeper reichte uns die Karten und nahm unsere Getränkebestellungen entgegen. Ich bekam Kaffee. Adrian bestellte einen Martini, was ihm missbilligende Blicke von seinem Vater und mir eintrug.
»Es ist kaum Mittag«, bemerkte Nathan.
»Ich weiß«, erwiderte Adrian. »Bin überrascht, dass ich so lange durchgehalten habe.«
Nathan überhörte die Bemerkung und wandte sich mir zu. »Sie sind sehr jung. Sie müssen gerade erst bei den Alchemisten angefangen haben.«
»Wir fangen alle jung an«, stimmte ich zu. »Ich arbeite seit etwas über einem Jahr allein.«
»Das bewundere ich. Zeigt eine Menge Verantwortungsbewusstsein und Initiative.« Er nickte dankend, als der Barkeeper eine Flasche Wasser abstellte. »Es ist kein Geheimnis, wie die Alchemisten zu uns stehen, aber gleichzeitig tut Ihre Gruppe eine Menge Gutes für uns. Ihre Effizienz ist besonders bemerkenswert. Ein Jammer, dass meine eigenen Leute diesem Vorbild nicht größere Aufmerksamkeit schenken.«
»Wie stehen die Dinge bei den Moroi?«, fragte ich. »Wie geht es der Königin?«
Nathan lächelte beinah. »Wollen Sie damit sagen, Sie wissen es nicht?«
Ich wusste es schon – zumindest wusste ich, was die Alchemisten wussten. »Es ist immer etwas anderes, es von jemandem zu hören, der an den Ereignissen selbst teil hat, Sir.«
Er lachte leise. Das Lachen klang hart, so als sei Nathan Ivashkov nicht sehr geübt darin. »Die Lage ist besser als früher. Jedoch nicht viel besser. Dieses Mädchen ist klug, das muss ich ihr lassen.« Ich nahm an, dass »dieses Mädchen« Vasilisa Dragomir war, die sehr junge Königin der Moroi und Roses beste Freundin. »Ich bin mir sicher, dass sie gern Gesetze erlassen würde, die den Einsatz der Dhampire und die Regeln der Erbfolge ändern, aber sie weiß, dass dadurch nur ihre Gegner verärgert wären. Also findet sie Wege, in anderen Punkten Kompromisse zu schließen, und hat bereits einige ihrer Feinde für sich gewonnen.«
Regeln der Erbfolge. Das war für mich von Interesse. Es gab zwölf königliche Familien unter den Moroi, und Vasilisa und Jill waren die beiden Einzigen, die von ihrer Familie noch übrig waren.
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