Bloodlines - Mead, R: Bloodlines - Bloodlines
Glück kündete. Jacqueline hob den Kopf, wischte sich den Mund ab und betrachtete voller Freude ihr Opfer. Dann schob sie ihren Blusenärmel nach oben und legte die Nägel auf sein Handgelenk. Bevor sie jedoch ihr eigenes Fleisch aufreißen konnte, entdeckte sie etwas.
»Ah, viel ordentlicher.« Sie trat weg, beugte sich vor und griff nach Lees Messer. Es war bei unserer Auseinandersetzung unter das Sofa gerutscht. Jacqueline nahm es und schlitzte sich mühelos das Handgelenk auf, so dass dunkelrotes Blut herausquoll. Ich hatte erwartet, dass ihr Blut dem meinen nicht so ähnlich wäre. Es hätte schwarz sein sollen. Oder ätzend.
Sie legte ihr blutendes Handgelenk auf Lees Mund und drückte seinen Kopf zurück, so dass die Schwerkraft den Blutfluss unterstützte. Jedes Grauen, das ich heute Abend erlebt hatte, war schlimmer als das vorangegangene. Der Tod war schrecklich – aber er war auch ein Teil der Natur. Doch dies hier? Das war kein Teil eines natürlichen Plans. Ich würde gleich die größte Sünde der Welt mit ansehen, die Korruption der Seele durch schwarze Magie, um die Toten wiederzubeleben. Plötzlich fühlte ich mich am ganzen Leib schmutzig – und wünschte, ich hätte wegrennen können. Ich wollte das nicht sehen. Ich wollte nicht mit ansehen müssen, wie der Mann, den ich einst als so etwas wie einen Freund betrachtet hatte, sich plötzlich als Perversion der Natur erhob.
Eine Berührung an meiner Hand ließ mich zusammenzucken. Es war Adrian. Sein Blick war auf Lee und Jacqueline gerichtet, aber er hatte meine Hand ergriffen und drückte sie nun, obwohl er noch immer gefesselt war. Die Wärme seiner Haut überraschte mich. Auch wenn ich wusste, dass Moroi ebenso lebendige, warmblütige Geschöpfe waren wie ich, hatte ich aufgrund meiner irrationalen Ängste doch immer erwartet, dass sie sich kalt anfühlen müssten. Genauso überraschend war der plötzliche Trost und das Gefühl der Verbundenheit, die in dieser Berührung lagen. Es war keine Berührung, die besagte: He, ich habe einen Plan, also halt durch, denn wir werden aus dieser Sache wieder rauskommen. Es war eher eine, die einfach besagte: Du bist nicht allein. Das war wirklich das Einzige, was er zu bieten hatte. Und in diesem Augenblick war es genug.
Dann geschah etwas Seltsames. Oder vielmehr, es geschah nicht.
Jacquelines Blut floss stetig in Lees Mund, und obwohl wir nicht viele dokumentierte Fälle von Strigoi-Verwandlungen hatten, waren mir die wesentlichen Tatsachen doch bekannt. Das Blut des Opfers wurde bis auf den letzten Tropfen getrunken, und dann gab der Strigoi, der das Opfer getötet hatte, dem Verstorbenen etwas von seinem Blut zurück. Ich wusste nicht genau, wie lange diese Prozedur dauerte – gewiss verlangte sie nicht das gesamte Blut des Strigoi – , aber an irgendeinem Punkt hätte Lee sich doch regen und als einer der wandelnden Toten auferstehen müssen.
Jacquelines kühler, selbstgefälliger Gesichtsausdruck wich allmählich der Neugier und dann einer offenen Verwirrung. Fragend sah sie Dawn an.
»Weshalb dauert das so lange?«, fragte diese.
»Keine Ahnung«, antwortete Jacqueline und wandte sich wieder Lee zu. Mit der freien Hand stieß sie Lee gegen die Schulter, als könne das als Weckruf dienen. Aber nichts geschah.
»Hast du das noch nie gemacht?«, fragte Dawn.
»Doch, natürlich«, blaffte Jacqueline. »Es hat aber nie annähernd so lange gedauert. Er sollte inzwischen auf den Beinen stehen und längst wieder herumlaufen. Irgendwas stimmt da nicht.« Ich erinnerte mich an Lees Worte; er hatte erzählt, dass all seine verzweifelten Versuche, Unschuldigen das Leben zu nehmen, ihn nicht zurückverwandelt hatten. Ich wusste nur wenig über Geist – und noch weniger darüber, wie er Strigoi wiederherstellte – , aber irgendetwas sagte mir, dass es wahrscheinlich keine Macht auf Erden gab, die in der Lage war, Lee jemals wieder zu einem Strigoi zu machen.
Eine weitere Minute verstrich langsam, während wir zusahen und weiter warteten. Schließlich entfernte sich Jacqueline angewidert von dem Fernsehsessel und schob den Ärmel zurück. Sie bedachte Lees reglosen Körper mit einem wütenden Blick. »Irgendetwas stimmt hier nicht«, wiederholte sie. »Und ich will nicht noch mehr Blut verschwenden, nur um den Grund dafür herauszufinden. Außerdem heilt mein Schnitt bereits.«
Ich wünschte mir nichts mehr, als dass Dawn und Jacqueline meine Existenz vergaßen, aber die nächsten Worte schlüpften
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