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Bloodman

Bloodman

Titel: Bloodman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pobi
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sah Jake die bunten Einwickelpapiere nur als Sims aus Farbe. Das Mädchen starrte unverwandt geradeaus, während seine Hand mit der Regelmäßigkeit eines Metronoms in die Schüssel tauchte. Einen Bonbon platzierte es an einer freien Stelle in der von ihm abgewandten hinteren Ecke, den nächsten irgendwo in der Mitte, als folgte es einem Schema, das nur in seinem Kopf existierte. Seine Mutter war weiterhin in ihren Schundroman vertieft.
    Jakes Blick blieb an dem Muster auf dem Tisch hängen. Die Mutter sah nicht hoch von ihrem Buch, und das Mädchen legte weiter einen Bonbon nach dem anderen wie die Einzelpixel eines digitalen Bildes auf den Tisch.
    Jake war schon beinahe an ihr vorüber, als er ruckartig stehen blieb.
    Sie hatte eine Kopie – eine beinahe exakte Kopie, lediglich eingeschränkt durch die Arbeitsfläche und die zur Verfügung stehenden Farben – des Umschlagbilds vom Buch ihrer Mutter angefertigt. Zwei wunderschöne Bonbonmenschen lagen sich in den Armen, im Hintergrund ein kubistisches Herrenhaus, eine Baumreihe. Die Blaublütigen von Connecticut in kursiver Süßschrift.
    Jeder Bonbon bildete eine einzelne Komponente.
    Einen Farbklecks.
    Einen Pixel.
    Wie in Chuck Closes Werk.
    Â»Das macht sie ständig«, sagte die Mutter mit starkem Long-Island-Akzent.
    Jake blickte auf und sah, dass das Buch zugeklappt in ihrem Schoß lag. »Es ist schön«, sagte er.
    Die Mutter zuckte die Achseln. »Kann sein. Ich versuche, mich nicht drüber aufzuregen, aber manchmal ist es unmöglich. Sie macht das mit allem. Spielkarten. Papierfetzen. Welke Blätter. Reißnägel – aber die versuche ich von ihr fernzuhalten. Sie macht es sogar mit ihrem Essen. Man darf ihr keine Gummibärchen geben oder etwas anderes Farbiges, weil sie sonst gleich Bilder von Gesichtern und anderem Zeugs legt. Wenn man fünfmal die Woche eingetrocknete Rosinen vom Autositz kratzt, hat man es bald satt.«
    Jake versuchte zuzuhören, aber das Bild des Chuck-Close-Gemäldes im Strandhaus seines Vaters drängte sich dazwischen. Er sah die ausgeschnittenen Augen in dem pixeligen Porträt seines Vaters vor sich, das ihm von der großen Leinwand entgegenstarrte. Er dachte an die trübsinnigen kleinen Leinwände, die sich im Atelier stapelten, zufällige Nichtigkeiten, die bedeutungslos und unvollständig wirkten. Er dachte daran, dass das Ganze oft mehr ist als die Summe seiner Einzelteile.
    Und plötzlich wusste er, was die aufgestapelten Leinwände bedeuteten.

46
    Er versuchte, Jeremy dazu zu bringen, ihm den Mann im Boden zu erklären, auf konkrete Art zu beschreiben, ihn vielleicht sogar herbeizurufen. Doch als er ihn drängte – den Jungen richtig unter Druck setzte –, lief er mitten ins Wohnzimmer, sprang auf und ab und schrie: »Bud! Bud! Bud!« Immer wieder, bis Jake ihn schließlich hochnahm und ihm sagte, er solle die Sache vergessen. Aus irgendeinem Grund war Jeremy anschließend noch frustrierter und zorniger, als ob sein Auf-und-ab-Gehüpfe im Wohnzimmer die Antwort gewesen wäre.
    Jake und Kay verbrachten den Vormittag damit, die Bilder im Atelier zu fotografieren. Kay bediente den Digitalrekorder, und Jake hielt die Gemälde eines nach dem anderen in die Höhe – gerade lange genug, dass die Kamera sie einfangen konnte. Jake wusste, wenn sich jemals jemand das Video ansah, würde es wirken wie die Hommage eines Meth-Süchtigen an Bob Dylans ›Subterranean Homesick Blues‹. Aber im Labor in Quantico verfügten sie über eine Software, mit der sie die einzelnen Bilder freistellen und an ihrem Platz im Gesamtschema einfügen konnten.
    Sie arbeiteten schnell. Manchmal schafften sie vierzig Bilder pro Minute, dann wieder nur zehn. Am Ende der ersten Stunde hatten sie beachtliche 1106 Leinwände registriert. Am Ende der zweiten kamen weitere 897 dazu – das schlug schon eine erhebliche Bresche in die Gesamtmenge.
    Â»Ich brauche ein Sandwich«, sagte Kay, die Hand über die Kamera gelegt, so dass man das Wort L-O-V-E auf ihren Fingergliedern lesen konnte.
    Â»Und eine Cola«, fügte Jake hinzu.
    Jake wollte Jeremy nicht im Atelier dabeihaben, wo die Studien der gesichtslosen Männer aus Blut einen von allen Seiten anstarrten, daher hatten sie ihn in den kleinen Vorraum verbannt, wo er mit seinen Hot Wheels erfolgreich ein Chaos veranstaltete. Kay hatte ein

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