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Bloodman

Bloodman

Titel: Bloodman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pobi
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Antwort lautet: gar nicht. Ich muss genau wissen, was mit meinem Vater nicht stimmt, damit ich die nötigen Arrangements für seine Zukunft treffen kann. Eine Zukunft, an der teilzunehmen ich nicht die Absicht habe.« Jake wusste, dass er wie ein Arschloch klang, aber das war ihm gleichgültig.
    Sobel schaltete sein stereotypes Nicken wieder ein. »Im Augenblick leidet Ihr Vater noch an den Nachwirkungen des Schocks, an einer leichten posttraumatischen Belastungsstörung, und er steht unter Schmerzmitteln. Die Kombination dieser Faktoren ist nicht gerade persönlichkeitsstabilisierend, dazu noch die klassischen Symptome von Alzheimer, und die Probleme steigen exponentiell. Er ist verwirrt, er ist reizbar, und er ist aggressiv.«
    Jake hob die Hand. »Dr. Sobel, mein Vater war immer reizbar und aggressiv, solange ich zurückdenken kann.«
    Sobel bedeutete ihm, ihn erst ausreden zu lassen. »Dieses Gemälde an der Wand seines Zimmers …« – er verstummte, und seine Stimme wurde sanfter, als ob er mit sich selbst spräche – »… zeigte keinerlei Degeneration seiner motorischen Fähigkeiten, was bei einem Mann in diesem Stadium von Alzheimer aber zu erwarten wäre. Das Bild beweist, dass er noch fähig zu abstraktem Denken ist – die bloße Tatsache, dass er die Verbindung zwischen seinem Blut und Farbe herstellen konnte, ist schon abstrakt genug, aber wenn man dann noch die Art von Bild betrachtet, das er gemalt hat, ist er meinem Gefühl nach völlig in der Lage, in abstrakten Begriffen zu denken.« Der Psychiater konsultierte seine Aufzeichnungen und blätterte ein paar Seiten weiter. »Auch sein Vokabular weist, soweit ich sagen kann, keinerlei Degeneration auf. Wie schon gesagt, ich habe keine Ahnung, wie er vor dem Unfall war, aber Ihr Vater wirkt sehr artikuliert, wenn auch etwas rechthaberisch.« Sobel blickte von dem Aktenordner auf und lehnte sich zurück. Er verschränkte die Hände über dem Kopf und fuhr fort: »Symptomatisch gesprochen, liegt er irgendwo zwischen beginnender und leichter Demenz, beziehungsweise den Stufen zwei und drei. Es gibt Anzeichen von leichter Demenz, und dennoch fehlen typische Anzeichen einer beginnenden Demenz und umgekehrt. Diese Krankheit verläuft bei jedem Menschen individuell, aber es gibt gewisse Symptome, die immer vorhanden sind – oder sein sollten.« Eine kleine Veränderung in seinem Tonfall verriet Jake, dass der Mann ihm etwas vorenthielt.
    Â»Wollen Sie damit sagen, dass er nicht an Alzheimer leidet?«
    Â»Ich weiß, dass Sie mit seinem Hausarzt darüber gesprochen haben, aber ich arbeite hier in einem Vakuum.« Sobel zuckte die Achseln, und mit seinen über den Kopf verschränkten Händen sah es aus wie eine gymnastische Übung. »Ich verfüge kaum über begleitende Informationen von Verwandten oder Freunden, und das ist einer der Eckpfeiler bei der Diagnose von Alzheimer. Ihr Vater hat sehr viel Zeit allein verbracht, und auch das ist nicht hilfreich. Außerdem ist er ein Künstler, und Künstler sind immer exzentrisch. Ich benötige bestimmte Informationen, über die ich einfach nicht verfüge.«
    Â»Was ist es, worüber wir hier nicht reden, Dr. Sobel?«
    Â»Verzeihen Sie?«
    Jake lächelte. »Ich merke es, wenn man mir etwas vorenthält.«
    Â»Jake, ich weiß nicht genau, was in Ihrem Vater vor sich geht. Ich weiß aber, dass seine neuronalen Leitungen die Wirklichkeit nicht immer in Begriffe übertragen, die er verstehen kann. Normalerweise bekomme ich Patienten schon lange zu sehen, bevor selbst die kleinsten Unfälle anfangen. Ihr Vater dagegen hat sich ganz unvermittelt in Brand gesetzt und ist durch eine Glastür gekracht. Es fällt mir schwer zu glauben, dass er ein so fortgeschrittenes Stadium erreichen und trotzdem noch allein für sich sorgen konnte. Eigentlich hätte er schon lange vorher hier eingeliefert werden müssen. Vor einem Jahr vielleicht. Möglicherweise noch früher.«
    Â»Ich habe Grassoden und Schlüssel und Taschenbücher in seinem Kühlschrank gefunden. Keine Ahnung, wie zum Teufel er es fertiggebracht hat, so zu leben. Ich werde nicht hier herumsitzen und mich für Dinge entschuldigen, die Sie eigentlich gar nicht interessieren, aber er hat mich schon vor sehr langer Zeit von seinem Verteiler für Weihnachtsgrüße gestrichen.«
    Sobel nickte wieder.

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