Bloodman
entsetzten Gesichtern heraustrat, den irgendeine unsichtbare Kraft von Jacob Coleridges Tür fernzuhalten schien.
Im Zimmer, vor der Wand, über die täglich der Schatten des Besucherstuhls wanderte, lag Jacob Coleridge auf den Knien. Er hatte sich die Bandagen mit den Zähnen weggerissen und die breiigen Stümpfe seiner Hände freigelegt, verkrümmt und rissig, bedeckt von den Spinnenbeinen herausgerissener Fäden, aus denen Eiter und Blut quollen. Seine Unterschenkel standen seitlich ab wie bei einem Kind, und er starrte hoch zu einem Gemälde, das er in bereits zu Schwarz eintrocknenden Klecksen und Tropfen und Spritzern gemalt hatte.
Jake erstarrte in der Tür, die Augen auf das blutige Bild an der Wand geheftet.
Jacob Coleridge hatte seine verkohlten Knochen und verschorften Finger benutzt und dem Strich Tiefe und Fülle verliehen, indem er die Linien je nach Druck verbreiterte oder verschmälerte. Das Bildnis, das er an die Wand geblutet hatte, war furchteinflöÃend und bar jeder Eleganz. Es war eine Fingermalerei des Irrsinns. Das Kniestück eines Mannes.
Jacob hatte der Gestalt mittels erzwungener Perspektive Tiefe verliehen, so dass sie nicht zweidimensional wirkte, sondern so, als stünde sie vor der Wand. Der Mann in dem blutigen Porträt hatte den Kopf auf die Seite gelegt, als würde er etwas betrachten. Aber er besaà keinen Gesichtsausdruck, weil kein Gesicht existierte â nur ein schwarzer Schmierer aus Blut, wo seine Züge hätten sein sollen.
Jacob Coleridge hatte sich die Bandagen weggekaut, sich durch Gaze und Pflaster hindurchgenagt, um Knochen und Fleisch freizulegen. Er hatte das Blut aus seinen Venen an die Wand geschmiert, hingeworfene Tupfer und Striche von jener Wildheit, die stets sein Markenzeichen gewesen war. In den Schatten war das Blut dicker. In den Lichtern nur eine dünne Lasur.
Jake trat langsam näher, konnte den Blick nicht von dem aus Blut gemalten Mann lösen. Die Figur schien ihm zu folgen â ein meisterhafter Trick der erzwungenen Perspektive â, und eine Sekunde lang glaubte Jake zu sehen, wie sie sich bewegte, zuckte. Es roch wie im Haus der Farmers letzte Nacht.
Er , sagte die Stimme, und Jake spürte sein Herz stolpern.
Er schlüpfte an seinem Vater vorbei, um sich das Gemälde genauer anzusehen. Je näher er kam, desto überwältigender wurde der zähe, metallische Geruch nach Blut. Er hatte bei der Arbeit schon Schlimmeres erlebt â oft, sehr oft â, doch da hatte es ihn nie gestört. Hätte man ihn danach gefragt, er hätte zugeben müssen, dass er den Gestank kaum bemerkte â er verdrängte ihn automatisch. Aber als er jetzt das schwarze, gesichtslose, an die Wand geworfene Bild anstarrte, trug ihn der Geruch zurück in die Nacht, als jemand seiner Mutter die Haut abgezogen hatte.
Jake hob den Arm mit gespreizten Fingern, als ob er eine Glastür aufstoÃen wollte. Seine Hand berührte die Wand aus Rigips. Finger und Handfläche pressten sich gegen das Porträt, und er spürte die Hitze, die davon ausging. Eine dicke, nasse Welle, die sich feucht anfühlte. Er zuckte zurück, ohne dass er eine Spur hinterlassen hätte, und erst als er das blasse, weiÃe Muster seiner eigenen Handlinien betrachtete, fand er zurück in die Wirklichkeit.
Dr. Sobel stand wie erstarrt in der Tür.
»Machen Sie die verdammte Tür zu«, bellte Jake.
Sobel trat ein, schloss die Tür hinter sich und versperrte sie.
Als der Riegel ins Schloss glitt, blickte Jacob auf, und die tiefsitzende, animalische Furcht in seinen Augen verblasste ein wenig.
»Er braucht Hilfe.« Jake nahm das Telefon ab und hielt Sobel den Hörer hin. »Rufen Sie jemanden an. Helfen Sie ihm. Jetzt.«
Sobel tippte eine Nummer ein und bellte seine Befehle. »Schicken Sie Dr. Sloviak nach 312 , augenblicklich! Operationssaal vorbereiten, schnell! Piepen Sie Dr. Ramirez an und sagen Sie ihm, es sei dringend.«
Und ohne einen anderen Grund als den Gedanken, dass ein Sohn das tun sollte, legte Jake seinem Vater die Hand auf die Schulter. Jacob wiegte sich vor und zurück, seine Mundwinkel waren zu einer tiefen Maske der Trauer heruntergezogen. Blut und Speichel und Fetzen der Bandagen waren überall verspritzt. Blut tropfte von seinen Händen zu Boden. Sein Blick war nach oben zur Wand gerichtet. Aber seine Augen nahmen das Porträt nicht wahr, genauso wenig wie
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