Bloodman

von Ehefrau.«
    Erst da begriff Jake richtig, wie froh er über ihre Anwesenheit war. Ihre frische Weltsicht würde ihm eine große Hilfe sein, und sei es, weil sie ihn einfach nur aufheiterte.
    Jeremy war inzwischen wieder vor Jacobs Haus angekommen, kauerte sich hin und buddelte wie wild im Sand. Er brachte etwas zum Vorschein, hielt es ans Licht und nickte anerkennend, während seine kleine CPU berechnete, dass es die perfekte Größe zum Werfen hatte.
    Ein Lichtstrahl fiel darauf, und Jake sah den Gegenstand aufglänzen. Ein roter Blitz zuckte an sein Auge, als wäre das Ding in Jeremys Hand das gläserne Stück einer Rückleuchte, und dann warf es der Junge auch schon. Das Teil flog in hohem Bogen über den Streifen aus Seegras und Schaum hinweg, der den Rand des Ozeans säumte, und plumpste in die Wellen.
    Â»Daddy!«, zirpte Jeremy, begeistert von seinem verbesserten Wurf. Er tanzte um das frisch ausgehobene Loch herum und trat in den Sand, dass er aufstob und vom Wind weggeblasen wurde.
    Jake ging zu der Stelle, wo der Junge das Objekt aus dem Sand gezogen hatte, und bückte sich. Dicht unter der Oberfläche ertastete er einen rauen Gegenstand, ein Stück Stein, wie ihm sein Tastsinn sagte. Er kratzte den Sand fort und sah eine Art rotes Glasstück – vom selben Farbton wie das Teil, das Jeremy in den Atlantik geworfen hatte. Es war nicht scharfkantig, sondern abgerundet, ein zusammengeschmolzener Klumpen aus rotem Licht, übersät von Akne-Narben, die der Sand in seine Oberfläche gedrückt hatte. Jake hielt das Ding in die Höhe und versuchte hineinzusehen, irgendetwas daran machte ihn neugierig.
    Drinnen, säuberlich in der Schwebe in einer roten, durchscheinenden Wolke, befand sich ein kleiner, sichelförmiger Einschluss. Er war hell, viel heller als das umgebende Material, und eine Sekunde lang glaubte Jake, einen menschlichen Fingernagel darin zu erkennen. War das möglich? Was konnte …
    Da riss ihm Jeremy das Ding aus der Hand und warf es ins Wasser.
    Es flog in hohem Bogen durch die Luft, ein roter Tropfen aus Licht, der für Sekundenbruchteile über der Brandung zu schweben schien. Dann plumpste er ins Meer. »Alles weg, Daddy!«, rief Jeremy und rannte die baufälligen Stufen zum Strandhaus hinauf.

22
    Während Jake wieder an dem Fall arbeitete, stürzte sich Kay in die Säuberung des Hauses und räumte wenigstens einen Teil des Mülls fort, damit sie von der Küche zur Treppe gehen konnten, ohne einen Hindernislauf absolvieren zu müssen. Sie hatte die Türen zum Strand geöffnet und ließ frische Luft hereinströmen. Uralte Staubmäuse und Zigarettenasche tanzten über den Boden. Als sie die Perserteppiche über das Geländer der Holzterrasse hängen wollte, um sie auszulüften, stellte sie fest, dass sie aus irgendeinem Grund in einem sich überlappenden Karomuster am Boden festgenagelt und -getackert und -geschraubt waren – auch hier war Jacob Coleridge am Werk gewesen.
    Kay hatte den Riegel an dem Türchen in der niedrigen Abtrennung zwischen Pool bzw. Sumpf und Terrasse eingehängt. Jeremy spielte draußen, ausgestattet mit einem weißen, langärmligen Hemd, Sonnencreme und seinem kleinen Topfhut, während er eines der fröhlichen Lieder aus dem Kindergarten vor sich hin sang. Er war damit beschäftigt, ein Feuerwehrauto aus Plastik immer wieder seine Elmo-Stoffpuppe rammen zu lassen. Früher, als Jake lieb war, würde Elmo von Abenteuerspielfiguren ersetzt werden. Und nach und nach würde sein Sohn erwachsen werden.
    Jake sah die Autopsieprotokolle durch und ordnete die Informationen in Schichten an, so dass jede neue Lage auf der letzten aufbaute. Immer wieder ließ er die endlose Reihe von Fotografien Revue passieren. Er erfuhr mehr aus Fotos als aus den Notizen anderer Menschen. Er untersuchte die Blutspritzer aus verschiedenen Blickwinkeln. Studierte die Makroaufnahmen von verschmierten Fingerabdrücken und zersplitterten Zähnen. Das Schlimmste war der kleine Junge, ein rissiges, schorfiges Bündel aus Muskeln und Bindegewebe, in fötaler Stellung zusammengekrümmt, die blicklosen Augen in verschiedene Richtungen verdreht, die kleinen Fäuste zu blutigen Fleischklumpen geballt. Irgendwann musste Jake wegsehen und schnaufte tief durch, weil er merkte, dass er den Atem angehalten hatte.
    Er hatte annähernd tausend Mordschauplätze