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Bloody Mary.

Bloody Mary.

Titel: Bloody Mary. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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eine Notwendigkeit, und dem geschriebenen Wort war eine Gewißheit eigen, die allem anderen im Leben fehlte. Wie ein intellektueller Spürhund hatte Purefoy Osbert die Nase dicht an Dokumenten, sammelte Informationen und schöpfte Selbstvertrauen aus der Sicherheit seiner Schlußfolgerungen. Theorien und Gewißheiten schützten ihn vor dem Chaos namens Universum. Sie halfen ihm auch, mit der chaotischen Widersprüchlichkeit der Ansichten seines Vaters fertigzuwerden.
    Reverend Osbert war bekennender Eklektiker gewesen. Presbyterianisch erzogen, war er als Jugendlicher zum Methodismus konvertiert, dann Unitarier und anschließend Christlicher Wissenschafter geworden, ehe ihn die Lektüre von Newmans Apologia davon überzeugte, daß seine spirituelle Heimat Rom hieß. Diese Heimkehr hielt zwar nicht lange vor, war aber bei Purefoys Namensfindung hilfreich gewesen. Pazifismus Tolstoischer Prägung bot sich als Antwort an, und eine Zeitlang liebäugelte Reverend Osbert mit dem Buddhismus. Mit anderen Worten, Purefoy verbrachte seine Kindheit auf einer Achterbahn wechselnder Philosophien und ungewisser Ansichten. Wenn er morgens in dem Bewußtsein zur Schule ging, daß sein Vater an einen Gott glaubte, erfuhr er nachmittags bei seiner Heimkehr, Gott existiere nicht. Mrs. Osbert hingegen war ein Muster an Beständigkeit. Solange ihr Mann die Rechnungen bezahlte – er hatte etliche kleine Häuser geerbt, die er an verläßliche Leute vermietete und der Familie ein bequemes Leben ermöglichte, kümmerte es sie nicht, wie lange er welche Ansichten vertrat. »Halt dich einfach an die Fakten«, sagte sie, wenn eines seiner Experimente mal wieder zu lange anhielt, und häufig erzählte sie dem jungen Purefoy: »Das Problem mit deinem Vater ist, daß er nie Gewißheit über irgend etwas hat. Nie weiß er, was er glauben soll. Wenn er nur über irgend etwas Gewißheit hätte, wären wir alle viel glücklicher. Vergiß das nicht, dann wird es dir nie so ergehen wie ihm.« Da er nicht denselben Weg wie sein Vater einschlagen wollte, der nach der Rückkehr von einer Pilgerfahrt zu einem buddhistischen Schrein auf Sri Lanka eines gräßlichen Todes gestorben war – er hatte den Fehler gemacht, mit einem tollwütigen Hund Freundschaft schließen zu wollen –, vergaß Purefoy ihre Worte nie. »Ich habe ihm gesagt, er würde eines Tages zu weit gehen«, erklärte sie Purefoy nach der Beerdigung. »Und so war es auch. Nach Sri Lanka. Und das alles auf der Suche nach Seelenheil. Statt dessen ... Na, egal. Halt du dich einfach an Gewißheiten, und du kannst nicht viel falsch machen.«
    Purefoy hatte sich große Mühe gegeben, ihren Rat zu befolgen. Und doch hatte er den väterlichen Hang übernommen, in Abstraktionen nach Sinn zu suchen. Auf der Universität Kloone hatte ihn vor allem Professor Waiden Yapp beeinflußt, der fälschlicherweise wegen Mordes verurteilt worden war. Der Bericht des Professors über seinen Gefängnisaufenthalt und das vom Wissen über seine Unschuld hervorgerufene psychologische Trauma hatten Purefoy stark beeindruckt und die Wahl des Themas für seine Doktorarbeit beeinflußt.
    Professor Yapps Unschuld stand außer Zweifel. Hätte es bei seiner Verurteilung die Todesstrafe noch gegeben, wäre er gewiß gehängt worden. »Aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ich mit absoluter Sicherheit sagen, daß andere Menschen, die genauso unschuldig wie ich waren, am Galgen endeten.« Professor Yapps Aussage hatte Purefoy Osbert angeregt, fünf Jahre an seinem nächsten Buch, Fallstricke, zu arbeiten, und in seiner Widmung erwähnte er, wie sehr er Professor Yapp verpflichtet war. Anschließend betrieb er weitere Forschungen über unschuldige Opfer des Justizvollzugssystems sowie die brutalisierenden Auswirkungen des Gefängnislebens auf Gefangene wie Strafvollzugsbeamte, die in ein neues Buch mit dem Arbeitstitel ... und Strafe für alle einfließen sollten. Mit diesem Werk hoffte er, dem böswilligen und eindeutig mittelalterlichen Glauben der Öffentlichkeit den endgültigen Todesstoß zu versetzen, Verbrechen sei ein strafwürdiges Vergehen. Er ging sogar noch weiter. Er war nicht Professor Yapps Ansicht, Diebstahl, Mord, Überfall und andere kriminelle Aktivitäten seien die Folge von Armut und sozialem Elend. Er machte Recht und Gesetz dafür verantwortlich. Wie er seinen Studenten immer wieder eintrichterte: »Verbrechen resultieren aus einem System von Recht und Ordnung, das installiert wurde, um die

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