Bloody Mary.
von Grund auf verändern würden. Dem Dekan war die Kontrolle über die Lage entglitten. Er war durch die vielen Schrecken erschöpft ... zu erschöpft, um zu merken, wie ihn der Obertutor so bösartig und haßerfüllt ansah, daß Sir Cathcarts Vermutung vom Abend zuvor, er sei ein geisteskranker Killer, völlig plausibel wirkte. Jedenfalls trug sich der Obertutor mit Mordgedanken, und nur die Tatsache, daß am High Table keine ausgewachsenen Streitereien mehr gestattet wurden (eine Sitte, die bis ins siebzehnte Jahrhundert zurückreichte, als sich zwei Fellows zwischen der Wildpastete und dem Roastbeef wegen einer Meinungsverschiedenheit über das Wort »Bestiarium« spontan duelliert hatten, wobei ein begabter Theologe mit einer Hasenscharte sein Leben ließ), hinderte den Obertutor daran, den Dekan präzise davon in Kenntnis zu setzen, was er von ihm hielt. Zudem hatte der freitägliche Fisch wie üblich mäßigenden Einfluß. In der Seebarbe steckten so viele Gräten, die herausgepult werden mußten, daß für Streitereien keine Zeit blieb.
Gesprächig war nur der Kaplan. »Ich mache mir große Sorgen um den Rektor«, sagte er. »Als ich im Krankenhaus Addenbrooke anrief, um herauszufinden, wie es ihm ging, versicherte man mir, er sei dort überhaupt nicht eingeliefert worden.«
»Überrascht mich nicht. Vermutlich haben sie ihn nicht erkannt«, sagte Dr. Buscott. »Jedenfalls nicht als Rektor eines Colleges. Eher als Penner oder dergleichen.«
»Was zum Teufel soll das heißen?« fragte der Obertutor, froh
über jeden Vorwand, sich abreagieren zu können. »Lediglich, daß Rektoren anderer Colleges gepflegter sind und keine Melonen tragen.«
»Ich kann mir nicht denken, daß man ihn mit einer Melone auf dem Kopf eingeliefert hat«, befand Professor Pawley. »Und selbst falls er bei seinem letzten Schlaganfall einen Bowlerhut trug, was ich bezweifeln möchte, hätte man ihn abgenommen, als man Skullion auf eine Tragbahre legte.« »Gegen Melonen ist nichts einzuwenden«, sagte der Obertutor. »Sie waren mal sehr modern«. »Die roten mit den vielen Kernen haben mir schon als Kind nicht geschmeckt«, mischte sich der Kaplan ein. »Sind zu wäßrig. Die länglichen gelben schmecken viel fruchtiger, und die kleinen runden sind auch recht lecker.« »Wir reden doch nicht über solche Melonen. Es ging um Skullions Hut.«
»Natürlich habe ich seinen Namen genannt. Sonst hätte man im Krankenhaus ja gar nicht gewußt, wen ich meine. Trotzdem blieb man dabei, er sei nicht da.«
»Eventuell liegt er im Evelyn«, sagte Professor Pawley. »Es heißt, da sei es recht gemütlich.«
Der Dekan beachtete ihr Gerede nicht. Was ihn betraf, existierte Skullion nicht mehr, und ohnehin wollte er den anderen nicht verraten, wo er war. Je weniger Bescheid wußten, desto besser. Er fragte sich, wo der Praelector stecken mochte, und ob es klug gewesen war, dem alten Mann die Vollmacht zu erteilen, mit einem Kandidaten seiner Wahl Verhandlungen aufzunehmen. Daran ließ sich zwar jetzt nichts mehr ändern, aber dennoch war ihm nicht ganz wohl in seiner Haut. Schließlich entschuldigte er sich vor Ende des Essens und unternahm einen Spaziergang.
Der Obertutor wäre ihm fast gefolgt, überlegte es sich dann aber anders. Es blieb noch genügend Zeit für ein offenes Gespräch mit dem Dekan, und vielleicht behielt ja sogar die Polizei das College im Auge. Keinen Moment lang hatte er die Version geglaubt, Skullion sei in ein Krankenhaus gebracht worden. Mit erstaunlichem Taktgefühl – oder vielleicht auch nur aus praktischen Gründen, weil ein Rollstuhl nicht in einen Polizeiwagen paßte – hatte die Polizei einen Krankenwagen eingesetzt, um Skullion zum Polizeirevier Parkside zu bringen, wo man ihn jetzt ohne Zweifel verhörte. Der Obertutor überlegte kurz, ob er ihm nicht vielleicht einen Anwalt besorgen sollte, als ihm einfiel, daß der Praelector an diesem Vormittag Mr. Retter aufsuchen wollte, vorgeblich, um den Syndikus betreffs der verfassungsmäßigen Position eines Nachfolgers des unzurechnungsfähigen Rektors zu konsultieren. Erneut verblüffte ihn, welchen Takt und welche Sorgfalt der Praelector an den Tag gelegt hatte, um unerwünschte Publicity zu vermeiden. Was nur belegte, daß der Collegerat ihm zu Recht so viel Vertrauen geschenkt hatte.
Dennoch war der Obertutor immer noch schlechter Laune, als er mit dem Fahrrad zum Bootshaus von Porterhouse aufbrach. Seine Überlegungen drehten sich um Dr. Purefoy Osbert.
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