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Bloody Mary.

Bloody Mary.

Titel: Bloody Mary. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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geschlagen und wußte nicht genau, wo er sich befand.
    Der Kaplan half ihm auf die Füße: »Komm mal mit mir, mein lieber Junge«, und mit Hilfe zweier Studenten wurde Kudzuvine die Steintreppe hinauf in die Räume des Kaplans gebracht und auf dessen Bett befördert. Er war nur teilweise bei Bewußtsein.

9
    Der Obertutor hingegen war bei absolut klarem Bewußtsein. Ja, in einem langen Leben, das in erster Linie dem Bestreben galt, alles aus seinem Bewußtsein zu beseitigen, was nicht mit Rudern, Essen und der Verdrängung von Realität zu tun hatte, war er noch nie auf unangenehmere Art bei Bewußtsein gewesen. Wie der Schatzmeister wünschte er bei Gott, er wäre es nicht. Den Abend zuvor hatte er im Corpus-Christi-College verbracht, und bei aller Unklugheit – der Portwein war nicht sehr gut gewesen, aber nach einer ganzen Flasche 47er Crusted Port war es ihm angeraten erschienen, zwei große Benedictine nachzulegen – hatte er doch hervorragend gespeist. Infolgedessen war er spät aufgewacht und hatte sich gefühlt wie der Tod in Latschen – und es war die Hölle. Das lag nicht allein an seinen grauenhaften Kopfschmerzen, sondern auch an seinem Magen. Er wollte gar nicht wissen, was da unten im Gange war, aber egal was, es sollte aufhören. Oder nach oben kommen. Der Drang, sich zu übergeben, war überwältigend, auch wenn er sich keine Linderung davon versprach. Ihm kam der Gedanke, daß er mittlerweile eine galoppierende Leberzirrhose hatte, und zwar eine, die mit Sporen angetrieben wurde. Doch am meisten Schwierigkeiten bereiteten ihm die Augen. Als er schließlich aufstand – »aufstand« stimmte nicht –, als er sich schließlich mühsam aufrappelte, mußte er sich erst mal zehn Minuten lang auf die Bettkante setzen und abwechselnd an den Bauch und an den Kopf fassen. Danach hatte er sich langsam an der Wand entlang zum Bad gehangelt, und er konnte gut darauf verzichten, das Gesicht zu erkennen, dessen Umrisse er nur verschwommen im Spiegel wahrnahm. Es war scheinbar von wandernden Flecken übersät, die sich über seine lila Haut bewegten und wie Fäden einer dichten Spinnwebe über seinen Wangen lagen. Und als er deutlich genug sah, um seine Augen genauer zu betrachten, glichen sie monströsen Erdbeeren. Einen Augenblick lang glaubte er, an einer besonders gefährlichen Form von Bindehautentzündung zu leiden. Doch die Farbe stimmte nicht. Die Scheißdinger waren scharlach- und karminrot, und von dem Weißen in seinen Augen zu reden, wäre einigermaßen irreführend gewesen. Doch am meisten beunruhigte ihn nicht das, was er in seinem Badezimmerspiegel gesehen hatte. Als er sich nämlich an der Wand entlang zu seinem Bett und, so hoffte er, zu seinem nahen Tod zurücktastete, kam er an dem Fenster mit Blick auf den Hof vorbei und ... In diesem Moment wußte der Obertutor, daß er an Delirium tremens litt und schwor zum erstenmal, falls er überlebte – was er nicht wollte –, fürderhin nie mehr etwas auch nur ansatzweise Alkoholisches anzurühren. Unten stand ein Mann in einem Rollkragenpullover, mit schwarzem Blazer, weißen Socken und dunkelblau getönter Sonnenbrille und starrte zum Bull Tower hinauf. Dagegen war eigentlich nichts einzuwenden, obwohl der Obertutor Touristen nicht ausstehen konnte. Wirklich entsetzt war er davon, daß ein anderer, identisch gekleideter Mann drüben bei dem Wandelgang stand und eine weitere Erscheinung – oder waren es zwei? – den Springbrunnen betrachtete. Sie waren überall. Der Obertutor umklammerte das Fensterbrett vor sich und versuchte, die Mistkerle zu zählen. Er kam auf etwa acht, war sich aber nicht sicher, ob es nicht sechzehn waren, als er den Blick gen Himmel richtete und auf dem Dach der Kapelle noch mehr entdeckte.
    Mit einem gräßlichen Stöhnen ließ sich der Obertutor nach hinten gegen seinen Schreibtisch fallen und verfluchte sich, Gott und den beschissenen 47er Crusted Port, von den beiden Benedictines ganz zu schweigen, die er bis zu diesem Augenblick vergessen hatte. Kein Zweifel. Er befand sich im Endstadium des Delirium tremens. So und nicht anders mußte es sein. Rosa Elefanten waren eine Sache. Er hatte gehört, daß
    Menschen mit Alkoholvergiftung so was sahen. Und Spinnen.
    Ehrlich gesagt hätte er für ein paar anständige rosa Elefanten oder Spinnen alles gegeben. Doch daß die Auswirkungen des Alkoholismus bei ihm offenbar die Vision Dutzender Männer mit dunklen Sonnenbrillen, weißen Socken und Rollkragenpullovern auslösten,

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