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Bloody Mary.

Bloody Mary.

Titel: Bloody Mary. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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deutete auf ein ihm bis dahin unvorstellbares Ausmaß von Irrsinn hin. Vorübergehend trug er sich mit dem Gedanken, wieder zurück ins Bad zu gehen und den Schrecken ein für allemal und endgültig zu beenden. Ihn rettete eine weitere, schon fast überdeutliche Sinnestäuschung. Oder war es eine regelrechte Wahnvorstellung? An der Tür der Kapelle stand noch eine dieser gräßlichen Gestalten, und während der Obertutor voller Entsetzen hinabsah, stoben plötzlich zahlreiche Menschen aus der Kapelle und kämpften sich über die gräßliche Gestalt hinweg ins Freie. Der Obertutor schloß die Augen und kroch ins Bett zurück. Er lag da, den Kopf unter der Bettdecke, und betete, sterben zu dürfen.
    In diesem Zustand befand er sich immer noch, als der selbst ganz verstörte Praelector eintraf. »Obertutor, Obertutor, sind Sie da?« rief er aus dem Flur. Der winselnde Obertutor tat, als sei er nirgends, doch der Praelector ließ sich nicht foppen. Im College geschahen so grauenhafte Dinge, daß er jemanden zu Rate ziehen mußte, doch keiner der jüngeren Fellows war zu sehen, der Dekan war abwesend, und Professor Pawley, der sich nachts astronomisch betätigt hatte, ließ sich nicht wecken. Nur der Obertutor konnte helfen, die Krise zu bewältigen. »Herr Obertutor, stehen Sie um Himmels willen auf. Es passieren die entsetzlichsten Dinge.«
    Das wußte der Obertutor, aber er hatte nicht die geringste Lust, darüber zu sprechen. »Gehen Sie, bitte gehen Sie«, rief er leise aus dem Schlafzimmer. »Ich fühle mich ganz unpäßlich.« »Unpäßlich? O weh, das tut mir leid. Soll sich der Doktor oder die Schwester um Sie kümmern? Ich werde gehen und ...«
    Doch die Vorstellung, daß ihn vor seinem Tod zuerst die Krankenschwester und dann Dr. MacKendly ansahen, rüttelte den Obertutor auf. »Nein, um Himmels willen, nein«, bettelte er und tauchte unter seinen Bettdecken auf. »Und schalten Sie auf keinen Fall das Licht an.«
    Der in der Tür stehende Praelector zögerte. Er hatte gerüchteweise von dem Liebesleben des Obertutors gehört und befürchtete, womöglich irgendwie in dessen Privatsphäre einzudringen. »Wenn Sie sagen, Sie fühlen sich unpäßlich ...«, fing er an.
    »Ich bin ... ich bin ...« Der Obertutor rang nach Worten, die seinen Zustand beschrieben, ohne sein Delirium tremens oder die sonnenbebrillten Männer in den weißen Socken zur Sprache zu bringen. »Ich bin ein wenig neben mir.« Einen Augenblick lang ließ sich der Praelector, der sich gewöhnlich von den Ereignissen nicht leicht beeinflussen ließ und die Dinge nahm, wie sie kamen, von seinen eigenen noch frischen Erlebnissen ablenken. »Wer kann das schon von sich behaupten«, sagte er. »Ich jedenfalls bin mir meiner Natur gelegentlich nicht ganz sicher. Es ist eine Frage philosophischer Nuancierung, daß ...«
    »Quatsch«, widersprach der Obertutor. »Mit Philosophie hat das gar nichts zu tun. Ich bin ein wenig neben mir.« »Aha«, machte der Praelector und änderte seine sexuelle Theorie, nämlich, daß der Obertutor in Wirklichkeit neben jemand anderem sein könnte. »Meinen Sie das eigentlich wörtlich oder im übertragenen Sinn?«
    Dem Obertutor war absolut nicht danach, diese Frage zu beantworten. »Was zum Teufel macht es denn aus, ob ich das ... O Gott, diese Schmerzen ... Merken Sie denn nicht, daß ich nicht ganz bei Verstand bin?« schrie er beinahe. »Na, jedenfalls merke ich, daß Ihre Worte ziemlich unverständlich sind«, entgegnete der Praelector. »Andererseits sind nur sehr wenige Dons in Cambridge dauerhaft bei Verstand. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, daß einige gar keinen Verstand haben, bei dem sie sein könnten. Gewiß rührt daher der Ausdruck ›ohne Sinn und Verstands‹.« »Was reden Sie da für eine Scheiße!« kreischte der Obertutor, den das Abstraktionsniveau dieses Gesprächs noch weiter in den Irrsinn trieb. »Ich hab das letzte bißchen Verstand verloren, das ich habe. Oder hatte. Ich bin verrückt. Ich bin irrsinnig. Das ist doch ganz einfach ausgedrückt, verstehen Sie es denn nicht?« »Wenn Sie es so formulieren, kann ich nicht behaupten, ich sei völlig überrascht«, gestand der Praelector, dessen Langmut Grenzen hatte. »Um bei der Wahrheit zu bleiben, ich war nie davon überzeugt, daß Sie völlig normal sind. Das viele Gerudere, und ständig den Treidelpfad rauf und runter rennen und Obszönitäten schreien ...«
    Der Obertutor schrie noch etwas mehr herum, bis sich der Praelector

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