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Bloody Mary.

Bloody Mary.

Titel: Bloody Mary. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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sagte er.
    »Eventuell liegen sie im Archiv«, sagte der Bibliothekar mit einem abschätzigen Lächeln. »Doch wenn man bedenkt, was der Dekan und der Obertutor von ihm hielten, wäre ich nicht überrascht, wenn sie sie verbrannt hätten.« Purefoy war zutiefst schockiert. »Was?« rief er aus. »Aber so etwas tut man doch nicht. Dokumente zu vernichten ist ein Sakrileg. Nur sie bleiben uns von der Geschichte, und die Fakten ... So darf man Wissen nicht vernichten.« »In Porterhouse darf man. Lesen Sie mal Romleys Geschichte, dann sehen Sie, was der von Fakten hielt. Vermutlich hätte er eine Tatsache selbst dann nicht erkannt, wenn man sie ihm auf einem Teller serviert hätte.« Er hielt inne und überlegte. »Doch wenn man es recht bedenkt, hätte er sie mit jeder Menge Bratkartoffeln drumherum und einem Glas ausgezeichneten Rotwein dazu doch erkannt. Egal, wir können in die Krypta runtergehen und nachsehen.« »In die Krypta? Unter der Kapelle?«
    »Nein, hier drunter. Eigentlich ist es nur ein riesiger Keller, aber man nennt ihn die Bibliothekskrypta. Fragen Sie mich nicht, warum. Alles in Porterhouse hat irgendeinen obskuren Namen. Haben Sie schon die Absteige gesehen?« Purefoy verneinte und sagte, von so etwas habe er noch nie gehört.
    »Das war ein Teil der ursprünglichen Unterkünfte, wo die Gelehrten geschlafen haben. Heute hat man es in verschiedene Räume unterteilt, nennt es aber immer noch ›die Absteige‹.« Er schloß eine Wandtür auf, und sie gingen eine steile steinerne Treppe hinunter. Als der Bibliothekar das Licht anknipsen wollte, passierte gar nichts. »Das liegt an der Feuchtigkeit», erklärte er. »Der ganze Raum ist eine Art Tropfsteinhöhle, und die Elektrik hat man seit Menschengedenken nicht erneuert. Darum trage ich Schuhe mit Gummisohlen und habe diese schweren Arbeitshandschuhe hier liegen. Ich rate Ihnen, sie zu benutzen, wenn Sie runtergehen. Sie wollen ja wohl nicht durch einen Stromschlag getötet werden.«
    Nachdem er noch mehrmals den alten Schalter betätigt hatte, ging das Licht endlich an. Es war sehr schwach. »Der Schatzmeister besteht auf Fünfzehnwattbirnen, um Geld zu sparen, doch falls Sie mehr Licht brauchen – ich habe in meinem Büro Hundertfünfziger. Ehrlich gesagt weiß ich aber nicht, was dann mit den Leitungen passieren würde. Wahrscheinlich gäbe es einen Kabelbrand, und das ganze Gebäude würde abfackeln.«
    Doch Purefoy betrachtete mit einer Mischung aus Entsetzen und Verblüffung den gewaltigen Stapel alter Teekisten, der den Keller füllte. »Die sind das Archiv? Da soll wirklich das Collegearchiv sein? Das ist verrückt, kriminell und verrückt.
    Sehen Sie sich den Schimmel an.« Er deutete auf Pilzwucherungen an der Seite einer Kiste. »Ich weiß. Ich habe zwar versucht, etwas dagegen zu unternehmen, aber wenn es regnet, kriegen wir hier unten jedesmal etliche Zentimeter Wasser, weil irgendein Abfluß verstopft ist und man kein Geld für die Beseitigung der Verstopfung ausgeben will. Unter einige Kisten habe ich Backsteine gelegt, was aber augenscheinlich nicht viel hilft.« Als sie an dem Riesenstapel vorbeigingen, griff Purefoy in einige Kisten und berührte feuchtes Papier. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Selbst wenn der Bibliothekar recht hatte und Dekan und Obertutor hätten Sir Godber Evans’ Unterlagen verbrannt, war das pure Zeitverschwendung gewesen. Sie hätten die Papiere nur hier unten deponieren müssen. Die Feuchtigkeit besorgte den Rest. Aber jedenfalls hatte er eine Aufgabe gefunden: diese Teekisten durchforsten, ihren Inhalt in die Bibliothek hinauftragen und Stück für Stück trocknen. Er wollte nicht mitansehen, wie sich Fakten in Schimmel verwandelten, und bei nächster Gelegenheit würde er dem Schatzmeister und dem Dekan etwas erzählen. Er würde darauf bestehen, daß man einen Teil von Lady Marys Spende dazu verwendete, ein ordentliches, trockenes und wohltemperiertes Archiv für die Unterlagen von Porterhouse zu schaffen.

16
    Zu der Zeit war der Dekan schon unterwegs nach Cambridge. Seine Besuche bei Broadbeam und den anderen Alten Herren waren ergebnislos verlaufen. Keinem war ein wirklich wohlhabender Mann eingefallen, dem es eine Ehre wäre, Rektor von Porterhouse zu werden.
    »Die verdammte Rezession ist schuld, verstehen Sie?« hatte Broadbeam dem Dekan erklärt. »Die Immobilienpreise sind im Keller, es gab das Debakel bei Lloyds und den schwarzen Mittwoch. Mir fällt niemand mit einem so großen Vermögen

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