Blow Out (German Edition)
Zusammenhang. Natürlich wusste er es, schließlich war er daran beteiligt gewesen.
Kurz überlegte sie, ihn mit ihrem Wissen zu konfrontieren. Weshalb zögerte sie? Tief im Innern wusste sie es. Seit gestern war Franklin nicht mehr derselbe.
»Privat, ich verstehe«, hörte sie sich sagen.
»Sie können mit der Suche morgen früh fortfahren.«
»Ich weiß, ich habe Sie bereits gestern darum gebeten, aber könnten Sie diese Aufgabe nicht jemand anderem übertragen? Uns stehen genügend Aushilfskräfte zur Verfügung. Wie wäre es mit James Kosinsky? Für ihn wäre das …«
»Nein!«, schnitt er ihr das Wort ab. »Kommt nicht in Frage. Ich möchte, dass Sie mir diese Akte beschaffen. Daran ist mir sehr gelegen.«
»Aber bei allem Respekt, ich habe wichtigere Dinge zu erledigen. Mein Terminkalender platzt aus allen Nähten.«
»Es bleibt dabei. Dies hier hat für Sie Priorität.« Er zeigte mit dem Finger auf sie. »Und zu niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen. Diese Sache bleibt unter uns beiden.«
»Selbstverständlich.«
»Ich vertraue Ihnen, Emma.«
Darauf erwiderte sie nichts. Sie entschied, elegant das Thema zu wechseln und einen raschen Abgang zu machen, um in Ruhe über alles nachzudenken. »Darf ich Sie noch an die morgige Eröffnung des Deutsch-Amerikanischen Zentrums in Dresden erinnern? Ihre Rede ist für 14 Uhr vorgesehen. Wir sollten spätestens gegen zwölf Uhr aufbrechen.«
»Liz wird mich begleiten. Sie können sich also in aller Ruhe auf Ihre Aufgabe konzentrieren.«
Emma glaubte sich verhört zu haben. Ungläubig starrte sie Franklin an. Liz? »Bei allem Respekt, Herr Botschafter, aber Liz dürfte dafür kaum qualifiziert sein.«
»Sie wird das schon hinbekommen.«
»Aber sie ist mit dem Protokoll nicht vertraut.«
»Ich muss morgen nur eine Rede halten, Emma. Es wird keinen Empfang geben. Dabei fällt mir ein: Wie weit sind Sie mit der Rede?«
»Hätten Sie James Kosinsky die Akte suchen lassen, läge sie schon lange auf Ihrem Schreibtisch.«
»Mir genügt, wenn ich sie morgen früh hier vorfinde.«
»Ich darf die Rede für Sie schreiben, aber Liz wird Sie begleiten, sehe ich das richtig?«
»Es ist nur für morgen, Emma.« Emotionslos blickte er ihr in die Augen.
Emma holte tief Luft, schluckte aber einen bösartigen Kommentar in letzter Sekunde hinunter. Jetzt wusste sie, weshalb Liz Coleman vorhin so höhnisch gegrinst hatte.
»Herrgott«, platzte es aus Emma heraus. »Was ist an dieser verdammten Akte so wichtig? Immerhin verstaubt sie seit vierzig Jahren dort unten.«
Über den Rand seines Glases hinweg verengten sich Leland Franklins Augen zu schmalen Schlitzen. »Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen gegenüber je das Alter dieser Akte erwähnt zu haben.«
Emma erstarrte. Abwechselnd lief es ihr heiß und kalt über den Rücken, die feinen Härchen an ihren Unterarmen stellten sich auf. »Doch, haben Sie«, beharrte sie mit klopfendem Herzen und, wie sie hoffte, mit einigermaßen fester Stimme.
»Ich wüsste nicht, wann.«
»Vermutlich haben Sie es gestern in einem Nebensatz erwähnt. Woher sonst sollte ich es wissen?« Sie schluckte.
Franklin sah ihr lange und intensiv in die Augen. Nur mit Mühe gelang es ihr, seinem Blick standzuhalten. Durchschaute er ihre Lüge?
»Ja«, sagte er schließlich nachdenklich. »Woher sonst sollten Sie es wissen.«
Ein peinlicher Moment der Stille trat ein, und Emma wurde klar, von Franklin würde sie heute keine weiteren Informationen erhalten. Wenn sie es genau bedachte, hatte sie im Grunde überhaupt nichts erfahren, außer dass sie von Liz Coleman ausgestochen worden war.
»Wenn Sie heute nichts mehr für mich haben, würde ich gerne nach Hause gehen und ein heißes Bad nehmen.«
»In Ordnung.«
Sie nickte. »Viel Glück morgen in Dresden.«
Auf dem Absatz machte sie kehrt und ging in Richtung Tür.
»Guten Abend, Emma«, sagte Leland Franklin leise und sah ihr beim Verlassen des Büros nachdenklich hinterher.
10
Am nächsten Morgen saß Emma früher als üblich hinter ihrem Schreibtisch und starrte auf die vor ihr liegende Akte. Sie hatte wenig geschlafen, und ihr Rücken war verspannt. Bis weit nach Mitternacht hatte sie vor dem Laptop gesessen, um Franklins Rede fertigzustellen. Den Rest der Nacht hatte sie mit der Lektüre der Akte verbracht, die auch nach mehrmaligem Durchlesen nichts von ihrem Schrecken verloren hatte. Vier Menschen waren kaltblütig ermordet und die Hintergründe dafür mit Billigung der US-
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