Blow Out (German Edition)
Regierung vertuscht worden. Und das nur, um den Erfolg eines waghalsigen Projektes zu schützen, das offensichtlich in die falsche Richtung gelaufen war. Als wäre das alleine nicht schon ungeheuerlich genug, hatte der junge Leland Franklin bei dieser Verschwörung maßgeblich seine Finger mit im Spiel gehabt.
Um Franklin gegenüber den Eindruck zu erwecken, sie sei im Archiv, hatte Emma die Tür zu ihrem Büro abgeschlossen, ihren Communicator ausgeschaltet und die Telefonumleitung ins Sekretariat aktiviert. Unter keinen Umständen wollte sie ihrem Mentor über den Weg laufen. Seit gestern traute sie ihm nicht mehr. Herrgott, dieser Mann war buchstäblich über Leichen gegangen! Emma fragte sich, wie weit Franklin heute noch gehen würde, um seine Interessen durchzusetzen.
Jemand klopfte fordernd gegen ihre Tür. »Emma? Sind Sie da?«
Franklin! Jegliche Farbe wich aus ihrem Gesicht.
»Emma?« Durch die Tür gedämpft, klang seine Stimme dunkel und bedrohlich.
Ihr brach der Schweiß aus. Sie hatte keine Ahnung, wie sie reagieren sollte. Wusste er, dass sie hier war? Hastig sah sie auf die Uhr. 11.30 Uhr. Wollte er sich über ihre Fortschritte auf der Suche nach der Akte informieren, bevor er sich mit Liz Coleman auf den Weg nach Dresden begab? Oder war er trotz seines Gesundheitszustands doch im Archiv gewesen und hatte dort ihre Abwesenheit bemerkt? Falls ja, so hatte er mit Sicherheit auch die leere Stelle bemerkt, an der eigentlich ein ganz bestimmter Aktenordner hätte stehen sollen.
Ein Surren an der Tür verriet ihr, dass Franklin versuchte, diese zu öffnen. Mit pochendem Herzen stand sie vor ihrem Schreibtisch und wagte kaum zu atmen.
»Emma? Bitte öffnen Sie auf der Stelle diese Tür, falls Sie da drinnen sind!«
Emma fühlte sich ertappt. Sie atmete flach und leise und horchte angestrengt. Irgendwann würde Franklin schon wieder verschwinden. Hoffte sie.
Nur, was, wenn nicht?
11
Die Sturmflut setzte früher ein als erwartet. Nick stand vor dem provisorischen Deich, der sein Elternhaus vor der Nordsee schützte. Noch schützte. Denn obwohl der Eintritt des Hochwassers erst für Mitternacht angekündigt war, bemerkte Nick die untrüglichen Anzeichen dafür, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb. Der Wind hatte gedreht und wehte ihm nun scharf ins Gesicht. Die Fensterläden neben ihm schlugen gegen die Hauswand. Auch der Tidenstrom gewann merklich an Fahrt und trieb allerhand Müll durch Dörplings Straßen. Das Wasser stieg praktisch minütlich. Mit Sorge beobachtete Nick, wie die ersten Wellen bereits gegen die oberste Treppenstufe schlugen. Gischt benetzte seine Füße.
Nick war hundemüde. Fast die ganze Nacht hindurch hatte er sich auf dem abgewetzten Sofa hin und her geworfen. Zu viele unbekannte Geräusche hatten ihn wach gehalten. Ständig hatte er mit einem Ohr dem Knarren der Holzdielen und den gegen die Hauswand donnernden Wellen gelauscht.
Er steckte sich eine Kippe in den Mund und zündete sie an. Genüsslich inhalierte er den Rauch. Die erste Zigarette des Tages war immer die beste.
»Nikolaus?«, ertönte eine Stimme hinter ihm.
Er seufzte und warf die Zigarette ins Meer. Trotz seiner fünfunddreißig Jahre hatte er bisher nie den Mut aufgebracht, seiner Mutter sein Laster zu beichten. Wie es aussah, würde sich dies auch nie ändern.
»Mutter, wie oft soll ich es dir noch sagen? Bitte nenn mich nicht so«, erwiderte er, ohne sich umzusehen.
»Aber das ist nun mal dein Name.« Lena Schäfer trat hinter ihrem Sohn in den Türrahmen.
»Nenn mich Nick. Einfach nur Nick.«
»Warum das denn?«
»Weil alle mich so nennen, deshalb.«
»Aber Nikolaus ist doch ein schöner Name.«
»Ja, sicher.«
Sie hatten diese Diskussion unzählige Male geführt. Inzwischen wusste Nick, wie sinnlos es war, mit einer Demenzkranken zu diskutieren. Er war schon froh, wenn seine Mutter mehrere zusammenhängende Sätze zustande brachte. Er wandte sich um und betrachtete sie. Lena Schäfer stand in der Eingangstür und blickte in dieser typisch seltsamen Mischung aus Nachdenklichkeit und Unverständnis auf ihn herab. Derselbe Blick wie gestern bei seiner Ankunft, als Nick seine Mutter nackt und vollgepinkelt in der leeren Badewanne vorgefunden hatte. Heute Morgen hatte er dafür gesorgt, dass sie ordentlich angezogen war. Er hatte die Kleidungsstücke für sie herausgesucht und auf ihr Bett gelegt. Da sie nicht in der Lage oder willens gewesen war, sich aus eigener Kraft anzuziehen, hatte
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