Blow Out (German Edition)
eine Schicht flüssigen Zementestrichs zäh überzogen, den man über das Fundament eines Rohbaus goss und der unwiederbringlich alles verschluckte, was sich darunter befand. Selbst die Farbe der Wasseroberfläche schimmerte platingrau.
Sie gelangten in den höher gelegenen Dorfteil. Hier reichte das Wasser den Häusern nur bis knapp unter die mit Sandsäcken abgedichteten Türschwellen. Ein Luftkissenboot, vollgepackt mit Koffern und alten Menschen, kam ihnen entgegen. In ihren Mienen spiegelte sich unendliche Traurigkeit wider.
Mit einem Mal herrschte emsiges Treiben. Boote fuhren hin und her. Soldaten halfen Dörplings Einwohnern, ihre wenigen Habseligkeiten aus den Häusern zu schaffen, und gaben lautstark Anweisungen durch Megaphone. Nick beobachtete zwei Soldaten bei dem Versuch, einen zappelnden Schäferhund in ein Boot zu hieven, während der Besitzer des Hundes durch sanftes Zureden versuchte, das Tier zu beschwichtigen.
»Willkommen im vierten Quadranten«, sagte Keller.
Zwischen zwei Häusern hindurch erhaschte Nick einen Blick auf Bauer Jestes Scheune. Auch sie stand zur Hälfte unter Wasser, die Flügeltüren waren weit geöffnet. Leider drang das Sonnenlicht nicht in den hinteren Bereich der Scheune vor, wo sich früher einmal eine Holzleiter hinauf auf den Dachboden befunden hatte. Wehmütig erinnerte sich Nick an die unbeschwerten Stunden mit Bauer Jestes Tochter Ann-Marie im Heu. Überrascht von der plötzlich über ihn hereinbrechenden Welle von Melancholie, richtete er seine Gedanken wieder auf die vor ihm liegende Aufgabe.
Sie bogen um eine Straßenecke.
»Da wären wir«, sagte Keller. »Welches Haus ist es?«
»Das mit den blauen Fensterläden ganz am Ende der Straße.«
Nick schluckte. Das reetgedeckte Dach mit dem verklinkerten Schornstein wies mehrere schadhafte Stellen auf. Die Fensterläden hingen schief in den Angeln, die Außenfassade war deutlich sichtbar völlig durchnässt, und der Putz bröckelte ab. Die Haustür stand offen. Davor hielten zu einem Halbkreis aufgetürmte Sandsäcke das Meer davon ab, das Haus zu fluten.
Von Lena Schäfer war weit und breit nichts zu sehen. Erst gestern Abend hatte Nick ihr eine letzte Videonachricht geschickt und darin seine heutige Anreise angekündigt, doch selbst falls sie die Nachricht abgerufen haben sollte, bezweifelte er, dass sie sich noch daran erinnerte. Er hoffte nur, dass es ihr den Umständen entsprechend gutging. Bereits jetzt meisterte seine Mutter ihren Alltag mehr mit viel Glück als durch überlegte Handlungen. Sollte es mit ihrem Gedächtnis weiter in diesem Tempo bergab gehen, würde sich eine Unterbringung in einem Pflegeheim im Laufe des kommenden Jahres nicht mehr vermeiden lassen.
Geschickt legte Keller seitlich an der Haustür an. Nick schnappte seinen Rucksack und kletterte aus dem Boot, sorgsam darauf bedacht, nicht gegen die hüfthoch aufgetürmten Sandsäcke zu prallen.
»Danke für die Überfahrt.«
Keller nickte und legte ab.
Nick wandte sich um und blickte in den Flur, aus dem es muffig roch und in dem sich die Sonnenstrahlen schon nach wenigen Metern verloren. Dunkel und unheilverheißend erwartete das Haus den verlorenen Sohn.
»Mutter?«
Keine Antwort. Im gesamten Haus herrschte Totenstille.
»Mutter?« Diesmal lauter.
Keine Antwort.
Tief durchatmend, betrat er den Flur, auf alles gefasst. Was ihn dann jedoch erwartete, sprengte seine Vorstellungskraft bei weitem.
8
Entschlossen schritt Emma den langen Korridor entlang, an dessen Ende sich Leland Franklins Büro befand. Als sie an Derek Greenes Büro vorbeimarschierte, beschleunigte sie automatisch ihren Schritt. Offiziell bekleidete der baumlange Greene den Rang eines Kulturattachés, doch jeder in der Botschaft wusste, dass Greene das Büro der örtlichen CIA leitete. Sich mit Greene zu unterhalten glich stets einem Drahtseilakt, bei dem es einzig und allein darauf ankam, nicht das Falsche zu sagen. Bei ihm wusste man nie, woran man war, und das gefiel Emma ganz und gar nicht. Ihr Verhältnis zu ihm war bestenfalls als sachlich zu bezeichnen.
Sie erreichte das Vorzimmer. Ihr Herzschlag beschleunigte sich – ein immer wiederkehrender Zustand an diesem Tag. Sie sah auf ihre Armbanduhr. Kurz nach halb vier. Hoffentlich traf sie Franklin noch einigermaßen nüchtern an.
Sie brachte ihr rechtes Auge vor die Linse des Infrarot-Scanners. Augenblicklich glitt die Tür zur Seite.
Hinter ihrem Schreibtisch hob Liz Coleman den Kopf. Wie immer trug
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