Blue liquid (Kommissar Pfeifers erster Fall)
„Hallo?! Ist hier jemand?“, rief Leander laut. Plötzlich
kam, wie der Blitz, eine etwa fünfzigjährige Krankenschwester um die Ecke
geschossen. Offenbar hatte sie hinter der kleinen, nachträglich eingezogenen
Wand gesessen und gefrühstückt, denn sie kaute noch.
„Was
fällt Ihnen ein? Raus hier!“ Einige Krümel fielen ihr aus dem Mund. Einer blieb
an ihrer Lippe hängen und Beate beobachtete fasziniert, wie der Krümel auf und
ab wippte, als die Schwester weiter schimpfte. „Patienten haben hier keinen Zutritt.
Wir kommen gleich zu Ihnen aufs Zimmer, dann können Sie uns alles sagen, was
Sie möchten. Aber jetzt nicht. Wir haben Übergabe!“ Sie pumpte regelrecht vor
Aufregung und ihr Gesicht hatte eine ungesunde Röte angenommen. Mittlerweile
waren vier weitere Augenpaare auf Beate und Leander gerichtet, die ihnen
allesamt nicht wohl gesonnen schienen.
„Guten
Morgen. Drub, Kripo Freiburg. Dezernat 3, Mordkommission. Und wer sind Sie,
wenn ich fragen darf?“, wagte Leander todesmutig den Vorstoß. In diesem Moment
war Beate dankbar dafür, dass er die Führung übernommen hatte. Denn sie war
noch immer so schockiert von dem ruppigen Empfang der Krankenschwester, dass
sie sicherlich kein Wort herausbekommen hätte. Irgendwie hatte sie sich eine
Krankenschwester anders vorgestellt. Nett, ruhig, freundlich und hilfsbereit
eben. Allerdings hatte sie bislang auch noch nie mit einer zu tun gehabt. Sie
kannte sie nur aus Büchern und aus Fernsehserien. Vielleicht tat sie der Frau
Unrecht. Vermutlich war die Arbeit in einem Krankenhaus ziemlich anstrengend.
„Schwester
Mathilda, Stationsleitung. Was kann ich für Sie tun, Herr Drub?“ Sie klang
jetzt schon etwas freundlicher als noch vor einer Minute.
„Wir
suchen Dr. Leclerc. Das ist doch die Urologie?“ Schwester Mathilda nickte. „Ich
bringe Sie zu seinem Büro. Ich weiß nicht, ob er da ist. Manchmal sind die
Ärzte um diese Zeit schon im OP.“ Sie ging voraus. Beate konnte nicht umhin,
ihren Watschelgang zu bemerken. Ihre ausladenden Hüften wogten wie ein Schiff
auf hoher See hin und her. Eine dicke Krampfader zog sich über die gesamte
hintere Seite ihrer linken Wade. Ihre weißen Birkenstocks quietschten bei jedem
Schritt auf dem Linoleumboden.
„Zimmer
3.2. Da wären wir.“ Sie wollte schon wieder gehen, als Beate sie aufhielt.
„Schwester Mathilda, kennen Sie Dr. Leclerc gut?“ Die Krankenschwester musterte
sie scharf. „Sie haben keine Ahnung, oder? Das hier ist ein Lehrkrankenhaus.
Unsere Ärzte wechseln wöchentlich, manchmal sogar täglich die Stationen. Es ist
unmöglich, da einen näher kennen zu lernen. Also, nein, ich kenne ihn kaum. Und
jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss weiter arbeiten.“
Beate
streckte dem breiten Rücken der Schwester die Zunge heraus. Leander lachte.
„Lass dich nicht erwischen, liebe Kollegin. Die macht dich fertig.“ Sie fiel in
das Lachen ein und klopfte dann an die Tür von Zimmer 3.2.
Doch
sie hatten wieder kein Glück. Sie trafen diesmal gar niemanden an und mussten
unverrichteter Dinge wieder gehen. „Am besten, wir kommen heute Nachmittag noch
einmal her“, schlug Leander vor. „Irgendwann muss ja mal einer nach den
Patienten sehen“, fügte er nach einer kurzen Denkpause noch hinzu. Sie
beschlossen, als Nächstes zu dem Gymnasium zu fahren, an dem Tamara Hölderlin
unterrichtet hatte.
Beate
gab die Adresse in ihr Navigationsgerät ein und fuhr los. Sie hatte sich
mittlerweile wieder selbst hinter das Steuer gesetzt. Leanders Fahrstil hatte
nicht ihre Zustimmung gefunden. Er fuhr zu defensiv, so würden sie ewig
brauchen, bis sie am Ziel waren.
Morgens um halb neun zur
Hauptverkehrszeit einmal quer durch Freiburg zu fahren, war wahrlich kein
Vergnügen. Da brauchte selbst Beate Scheck beinahe eine dreiviertel Stunde, um
zum Friedrich-Schiller-Gymnasium in der Staufener Straße zu gelangen. Für die
Strecke brauchte man normalerweise nicht mehr als zwanzig Minuten von der
Uniklinik aus.
„Beeindruckend! Ich habe nicht gewusst, wie groß diese Schule ist“,
staunte Beate. Leander hingegen zeigte sich weniger beeindruckt. „Meine Schule
war noch deutlich größer als die hier.“ Er ging schnellen Schrittes voran.
Beate hatte Mühe, ihm zu folgen. „Ich ging auf eine Europa Schule in Berlin.“
Hoffentlich erwartete er jetzt kein erstauntes Oh und Ah . Denn
den Gefallen würde sie ihm nicht tun. Sie ignorierte seinen Kommentar und fragte
sich stattdessen lieber bis zum
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