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Bluescreen

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Titel: Bluescreen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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vorhergesehen hat, war die Kehrtwende hin zu einer Sexualisierung der Jugend. Obwohl diese beiden Linien der Kritik keineswegs inkompatibel sind (Jugendlichkeit kann beispielsweise immer noch dazu genutzt werden, die wirkliche Gleichberechtigung unter Erwachsenen zu sabotieren), haben sich, historisch betrachtet, feministische Lesarten der Jugend und des Alterns als wesentlich bedeutsamer erwiesen als die MacKinnon/Dworkin-Linie der Pornografie-Kritik.
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Ich möchte an dieser Stelle auf zwei weitverbreitete Argumentationsstränge eingehen, die meiner Darstellung insofern widersprechen, als sie darauf insistieren, dass die Attraktivität sexuell reifer Kinder nicht kulturell bedingt ist, sondern natürlich. Das erste Argument gehört sozusagen zum historischen Common Sense: Geschlechtsreife Kinder im Teenager-Alter von etwa fünfzehn Jahren waren bis vor nicht allzu langer Zeit de facto Erwachsene, weil man früher in diesem Alter heiratete. Krieg und Frieden , einer der größten Romane des 19. Jahrhunderts, spielt zur Zeit der Napoleonischen Kriege. Natascha, diese Verkörperung des Ideals der russischen Frau, ist vierzehn, als sie zum ersten Mal die Aufmerksamkeit ihrer Verehrer weckt. Wir haben es übrigens nicht mit irgendwelchen Verehrern zu tun, die ihr da den Hof machen: Unter ihnen finden sich Husaren aus der Armee des Zaren und sogar ein Graf. Diejenigen, die sich gerade von diesem Aspekt ihrer Persönlichkeit angezogen fühlen, gehen mit der Tatsache, dass sie noch ein Mädchen ist, so sachlich um, als handele es sich um etwas ganz Alltägliches. Ihre Eltern hingegen schätzen die Sache realistisch ein, sie fürchten, sie sei noch nicht reif genug, um ihr Elternhaus zu verlassen und einen Haushalt zu führen. In den Vereinigten Staaten lag dem Historiker Philip Jenkins zufolge das Alter der »Sexualmündigkeit« bis in die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts bei zehn Jahren. Erst danach wurde das Schutzalter auf sechzehn bzw. achtzehn Jahre angehoben, je nach Bundesstaat.
  
Das zweite Argument wird nur gelegentlich explizit und viel häufiger implizit vorgebracht, und zwar im Bereich der evolutionären Psychologie. Vertreter dieser Disziplin versuchen, das Verhalten heutiger Menschen als Ergebnis der Suche nach optimalen Strategien zur Weiterreichung von Genen zu erklären. Unser Verhalten in der Gegenwart ist aus dieser Perspektive durch Schaltkreise in unserem Gehirn vorgezeichnet, die im Laufe der Evolution entstanden, die sich jedoch auch angesichts der Anforderungen als nützlich erweisen, vor die uns die Fortpflanzung heute stellt. »Jugend ist ein ganz entscheidender Faktor«, schreibt der evolutionäre Psychologe David M. Buss in The Evolution of Desire , seinem Standardwerk zum Thema Sexualität, »da der reproduktive Nutzen einer Frau ab dem zwanzigsten Lebensjahr stetig abnimmt. Mit vierzig ist ihre Reproduktionsfähigkeit niedrig, und mit fünfzig liegt sie nahezu bei null.« Nimmt man die erfolgreiche Weitergabe von Genen als Richtschnur, so ist es sinnvoll, Kinderwünsche umzusetzen zwischen dem Zeitpunkt, an dem sich die ersten sichtbaren Anzeichen für den Beginn der Pubertät zeigen (heute also etwa im Alter von zwölf Jahren), und dem Alter, mit dem der reproduktive Niedergang einsetzt (etwa mit zwanzig). Die entsprechenden Verhaltensdispositionen seien unbewusst, das Begehren der Männer richte sich jedoch auf fruchtbare, gesunde Frauen in einem Alter, das noch maximal viel Zeit lässt, bevor die Reproduktionsfähigkeit abnimmt. Den Grundannahmen der evolutionären Biologie und Psychologie zufolge gilt insofern, dass Männer sich in allen Gesellschaften bis in die Gegenwart besonders von Mädchen angezogen fühlen, die gerade die Pubertät erreicht haben. Dies würde sich nur dann ändern, wenn sich statistisch nachweisen ließe, dass die Wahrscheinlichkeit des Reproduktionserfolgs in den Jahren nach der ersten Regelblutung zunächst deutlich zunimmt, allerdings dürfte das maximale Alter auch hier bei vierzehn oder fünfzehn Jahren liegen.
    Weder das historische noch das biologische Argument scheinen uns jedoch im Hinblick auf jenes Phänomen weiterzuhelfen, um das es in diesem Essay geht: das Sexkind, wie wir es heute kennen.
  
Ich denke, das liegt daran, dass keines von beiden zu fassen vermag, wie wir unser eigenes Begehren in der Gegenwart erfahren. Im Rahmen dieses Begehrens spielen die Sexkinder nämlich allenfalls eine sekundäre Rolle, sie sind nur durch unsere

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