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Bluescreen

Bluescreen

Titel: Bluescreen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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Einbildungskraft vermittelt präsent. Im wirklichen Leben spüren Erwachsene die sexuelle Anziehungskraft anderer Erwachsener. Wenn wir die Möglichkeiten ausschließen, dass das Begehren vollkommen unbewusst funktioniert (also nicht formbar und gesellschaftlich geprägt ist) und dass das Soziale nichts anderes darstellt als eine Projektionsfläche oder eine Täuschung – eine sehr komplexe Einbildung, die die Wirkungsweise biologischer Determinismen verschleiert –, so schwant mir, dass wir es bei den Sexkindern viel eher und vor allem mit der sexuellen Attraktivität der Jugendlichkeit als solcher zu tun haben als mit der Anziehungskraft konkreter Jugendlicher . Aus dieser Perspektive sehnen wir uns nach der Aufbruchsstimmung, die das Sexkind erlebt, wenn es die ersten Erfahrungen mit seiner Reife und Mündigkeit macht, bevor es in die Fänge neuer Regeln gerät: nach der Jugend im Sinne eines ewigen Werdens, eines Zustands, in dem man für alle Zeit immer nur neue Erfahrungen macht. Von solchen Fantasien einmal abgesehen, scheint mir die Anziehungskraft gerade geschlechtsreifer Kinder ausgesprochen schwach zu sein, keinesfalls stark. Mir ist jedoch vollkommen klar, dass Introspektion keine Wissenschaft ist, und ich bin mir bewusst, dass nichts von all dem die Anhänger naturalistischer Ansichten zufriedenstellen wird.

SANTA CRUZ
    In kaum einer anderen Stadt hat so viel von der kalifornischen Hippie-Romantik überlebt wie in Santa Cruz. Zurückgezogen an den Rand des Kontinents, sind dort ruhmreiche Absichten konserviert.
    Natürlich versucht jene Kultur, die längst das ganze Land beherrscht, auch diese Festung zu erobern. Die großen Einzelhandelsketten haben ihre Eier auf dem Algenteppich der Main Street abgelegt. Vor gut zehn Jahren schlüpfte aus dem ersten und größten dieser Eier ein riesiges Buch-Kaufhaus. Gegen diesen Laden gab es dann jahrelang Proteste. Noch bevor das Gebäude fertiggestellt war, standen dort zum ersten Mal Streikposten, es ging um einen Arbeitskampf. Als dieser beigelegt war, blieben sie einfach dort, um gegen alles andere zu demonstrieren. Seine Sterilität. Seine Leblosigkeit. Seine erdrückende Hässlichkeit, der man nicht ausweichen kann, wenn man, von Osten kommend, auf den Sonnenuntergang zufährt.
    Eine Freundin, die lange in Santa Cruz lebte, berichtete mir von den endlosen Demonstrationen. Eines Nachmittags erwarteten protestierende Clowns die Menschen, die zum Einkaufen in die Stadt kamen. Zornige Clowns. Sie hatten rote Nasen auf, trugen gestreifte Kostüme aus Seide und waren dick geschminkt. Während sie mit ihren Schildern im Kreis marschierten, rauchten sie Zigaretten. An eines der Schilder erinnert sich meine Freundin besonders gut: »Findet ihr das etwa witzig?«
    Santa Cruz war allerdings vor allem deshalb ein wütender Ort, weil die Stadt die Verantwortung für die Verteidigung der fröhlichen Freiheiten einer ganzen Nation trug. An einer Bushaltestelle an der wichtigsten Zufahrtsstraße stand jeden Tag, solange es hell war, der Tanzende Mann. Seine Bewegungen folgten keinem erkennbaren Muster. Dennoch war offenkundig, dass er selbst einen Ablauf im Kopf hatte. Er hüpfte auf und ab, dann beugte er sich vor und wieder zurück, drehte sich um die eigene Achse, anschließend bewegte er seine Arme wie die Flügel einer Windmühle, er winkte und ahmte Schwimmbewegungen nach.
    Oft hielten College-Studenten auf ihrem Weg zum Taco-Stand an, um ihm zuzusehen.
    »Er muss eben so lange üben, bis er die ganze Nummer einmal fertig getanzt hat«, berichteten sie dann. »Er erarbeitet sich da, na ja, irgend so eine Sache.«
    Als die Studenten eines Augusts aus den Sommerferien zurückkehrten, trug der Tanzende Mann plötzlich Shorts, vermutlich wegen der Hitze. Er machte einen leicht beunruhigten Eindruck. Neben ihm, nur einige Meter entfernt, stand nun ein zweiter, jüngerer Typ, der sich ebenfalls hin und her, vor und zurück bewegte, winkte und Sprünge vollführte. Zunächst vermuteten sie, die beiden würden um die Straßenecke kämpfen.
    »Nein, nein«, erklärten diejenigen, die den Sommer in der Stadt verbracht hatten, um zu surfen oder zu arbeiten. »Das ist sein Schüler. Der Tanzende Mann bringt dem Neuen seinen Tanz bei.«
    Meine Freundin zog weg. Als sie Jahre später zurückkam, war der Tanzende Mann verschwunden. Sie war verwirrt, als sie feststellte, dass sie erwartet hatte, er würde immer an dieser Stelle zu finden sein; es überraschte sie,wie traurig sie

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