Blüte der Tage: Roman (German Edition)
er Angst vor der blonden Frau?«
»Nein. Ich habe mir das Singen wahrscheinlich nur eingebildet. Und Luke ist sechs. Er kann sich alles Mögliche einbilden.«
»Haben Sie Gavin danach gefragt?«
»Nein. Luke sagt, Gavin habe die Frau ebenfalls gesehen ...«
»Ich auch.«
»David! Bitte!«
David hielt den Spüllappen unter das fließende Wasser, wrang ihn aus und legte ihn zum Trocknen über den Beckenrand. »Ich habe sie nur als Kind ein paar Mal gesehen, wenn ich hier übernachtet habe. Anfangs war ich zu Tode erschrocken, aber irgendwie war sie einfach da. Ganz selbstverständlich. Sie können Harper fragen. Er hat sie oft gesehen.«
»Okay. Und wer soll dieser angebliche Geist sein?« Als im Treppenhaus lautes Getrappel ertönte, hob sie die Hand. »Reden wir später weiter.«
Sie versuchte, die Sache zu verdrängen und sich durch Arbeit abzulenken. Aber die Geschehnisse stahlen sich immer wieder in ihre Gedanken und spukten wie Gespenster in ihrem Kopf herum.
Um die Mittagszeit schnappte sie sich schließlich ein Klemmbrett und ging damit zu dem Gewächshaus, wo Harper seine Veredlungen durchführte.
Heute schallte ihr irgendein seelenvolles Violinenkonzert entgegen. Sie ging an gepfropften Pflanzen in verschiedenen Wachstumsstadien vorbei, an Werkzeug, Blumenerde, Nährsubstraten, Bewurzelungsmitteln.
Harper saß am hinteren Ende an einem Arbeitstisch,
auf dem sich ein Stapel Anzuchttöpfe, mehrere Kakteen als Mutterpflanzen, ein Tablett mit Bewurzelungsmitteln sowie Wäscheklammern, Klebebänder, Raffiabast und eine Schale mit denaturiertem Alkohol befanden.
»Welche Methode verwenden Sie beim Weihnachtskaktus ?«
Stumm fuhr er mit seiner Arbeit fort, schnitt mit dem Messer einen Trieb vom Gelenk eines Edelreis’ ab. Er hat schöne Hände, stellte sie fest. Künstlerhände mit langen, schlanken Fingern. »Ah, Spaltpfropfen, nicht wahr? Ziemlich knifflige Angelegenheit, aber bei dieser Art wohl am besten. Züchten Sie Standardpflanzen oder Kreuzungen?«
Wieder reagierte er nicht.
»Ich habe mich nur gewundert, weil...« Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter, und als er mit einem gedämpften Aufschrei zusammenzuckte, wich sie zurück und stieß dabei gegen den hinter ihr stehenden Tisch.
»Verdammt!« Er ließ das Messer fallen und schob den Daumen, in den er sich vor Schreck geschnitten hatte, in den Mund. »Verdammt !«, fluchte er noch einmal, während er sich die Kopfhörer aus den Ohren zog.
»Tut mir Leid! Wie unaufmerksam von mir! Haben Sie sich schlimm verletzt? Zeigen Sie mal her.«
»Ist nur ein Kratzer.« Er zog den Daumen aus dem Mund und rieb ihn abwesend an seiner schmutzigen Jeans ab. »Aber dafür hätte ich vor Schreck fast einen Herzinfarkt gekriegt.«
»Zeigen Sie mir Ihren Daumen.« Energisch griff sie nach seiner Hand. »Sie haben Schmutz in die Wunde gebracht.«
Als er sah, wie ihr Blick zu dem Alkohol glitt, riss er seine Hand los. »Kommt nicht infrage!«
»Trotzdem sollte die Wunde wenigstens gesäubert werden. Tut mir wirklich Leid. Ich habe die Kopfhörer nicht gesehen. Ich dachte, Sie könnten mich hören – zumal ja klassische Musik läuft.«
»Schon okay. Die klassische Musik ist für die Pflanzen. Wenn ich so etwas zu lange höre, wird mir schwummrig.«
»Oh.« Neugierig legte sie sich einen Kopfhörer ans Ohr. »Metallica?«
»Mm. Meine Art von Klassik.« Misstrauisch blickte er auf ihr Klemmbrett. »Was gibt’s?«
»Ich wollte wissen, welche Pflanzen für die Frühjahrsangebote nächsten Monat fertig sind. Und welche weit genug sind, um sie zu dem anderen Bestand ins Gewächshaus zu stellen.«
»Oh, nun ja ...« Er sah sich um. »Da gibt es eine ganze Menge. Glaube ich wenigstens. Ich habe alle Wachstumsphasen im Computer aufgelistet.«
»Das ist gut. Vielleicht könnten Sie mir davon eine Kopie machen. Eine Diskette wäre super.«
»Okay, okay. Warten Sie einen Moment.« Er drehte seinen Stuhl zum Computer um.
»So sehr eilt es nun auch wieder nicht. Ich wollte Sie nicht bei Ihrer Arbeit unterbrechen.«
»Wenn ich es nicht gleich tue, vergesse ich es wieder.«
Geschickt gab er mit seinen von der Gartenarbeit schmutzigen Fingern einige Befehle ein, fand das Gesuchte und kopierte es auf Diskette. »Übrigens wäre es mir sehr lieb, wenn Sie in meiner Abwesenheit keine Pflanzen von hier entfernen.«
»Kein Problem.«
»Wie, ähm, wie macht sich Hayley so?«
»Sie ist ein Geschenk des Himmels.«
»Ach ja?« Er griff nach einer Dose Cola
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