Blüten, Koks und blaues Blut
Ange Pellegrini.
Den Grillen war die Tragödie dieser Nacht scheißegal. Sie zirpten, was das Zeug
hielt. Eine leichte Brise trug ein Lachen vom Meer an mein Ohr. Wahrscheinlich
Verliebte auf einem Schiff!
14
Der Akrobat
Nachdem die Ordnungshüter ihre Arbeit erledigt
hatten, verließen wir La Pergola. Auf dem Hauptkommissariat fand ein
freudiges Wiedersehen mit Hélène statt. Verschiedene Gerüchte, die in der Stadt
kursierten, hatten sie veranlaßt, sich an offizieller Stelle zu informieren.
„Eine Schande ist das!“ schimpfte sie. „Mich so
hereinzulegen! Hab Milandre getroffen, und er hat behauptet, Sie hätten einen
Auftrag für mich. Ich dumme Gans habe ihm geglaubt und bin nach Nizza gefahren,
um ein angeblich verdächtiges Subjekt mit weißem Bart zu beschatten. Hätte
hundert Jahre warten können...“
„Dédé wollte freie Hand haben“, erklärte ich. „Seien
Sie froh, daß er Sie nicht schlicht und einfach umgebracht hat! Anscheinend
hatte er ein Faible für Sie.“
Ich wollte noch einiges hinzufügen, kam aber
nicht mehr dazu. Ein Höllenlärm herrschte an diesem teuflischen Ort.
„Was ist los?“ schrie Pellegrini in den Flur
hinaus.
Ein Riese in Uniform kam herein und wischte sich
mit einem karierten Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
„Wir haben den Akrobaten“, sagte er stolz. „Er
wird gerade verhört.“
Wir gingen hinüber, um uns den Matrosen
anzusehen. Er war athletisch gebaut und trug ein weißes Trägerhemd mit der
Aufschrift Jeune Jenny.
„Dann gehört er also nicht zum ,Fliegenden
Holländer’?“ fragte ich überrascht.
„Nein, aber ein berühmt-berüchtigter
Fassadenkletterer ist er trotzdem“, bekam ich zur Antwort.
„Weitermachen“, ordnete der Kommissar an. „Seht
zu, daß ihr was rauskriegt. Werd mich in der Zwischenzeit etwas frischmachen.“
Er war glänzender Laune. Ich trug ihm wieder
meinen Wunsch vor, mit Madeleine Poitevin sprechen zu dürfen. Der Korse
versprach mir, den Untersuchungsrichter um eine Erlaubnis für mich zu bitten.
Im Gegenzug sollte ich ihm meine Bemerkung über das blaue Blut des Grafen
erklären. Ich erfüllte ihm seinen Herzenswunsch.
„Bewundernswert“, urteilte er, nachdem ich ihm
alles auseinandergelegt hatte.
Der Ton in seiner Stimme ließ an seiner
Aufrichtigkeit keinen Zweifel.
„Geht so“, wehrte ich ab.
„Oh, Chef“, mischte sich Hélène ein, „so bescheiden
geworden?“
„Nein, aber ich habe zu lange gebraucht, um eine
Verbindung zwischen Pierre de Fabrègues und Raymonde Saint-Cernin herzustellen.
Hätte ich meine Augen besser offengehalten, wäre mir das schon während meines
ersten Besuchs bei der Schriftstellerin aufgefallen. Denn, wie wir alle wissen,
das Telefon ihrer Villa war kaputt!“
„Was?“ Pellegrini ließ das Streichholz fallen,
das er an der Wand anreißen wollte. „Was erzählen Sie da?“
„Ja“, bestätigte ich, „das Telefon war kaputt.
Nach Ihrem Besuch beim Grafen am 24. hat er versucht anzurufen. Wahrscheinlich
die Person, die er vor der drohenden Gefahr warnen wollte. Das Gespräch ist
aber nicht zustande gekommen. So mußte er einen Brief schreiben, in dem er ihr
riet, die gekaufte Skulptur zu zerstören. Das hätte der Polizei nämlich
nahegelegt, eine Verbindung zwischen Käuferin und Verkäufer herzustellen. Ja,
in seinen Adern floß blaues Blut, beinahe schon dunkelblaues...“
„Das kaputte Telefon!“ rief der Kommissar
ungeduldig. Ihn ließen die Betrachtungen über aristokratische Gepflogenheiten
ziemlich kalt.
„Ich bin darauf gekommen“, fuhr ich fort, „als
ich im Café des Littoral saß. Genauer gesagt, als ich hörte, daß Ronald
Kree ein ehemaliger Kanzleiangestellter war. Vor drei Jahren hat er gekündigt,
das heißt, nach dem Tode von Miss Sutton und der anschließenden
Testamentseröffnung. Miss Sutton wiederum erinnerte mich an Madame
Saint-Cernin... Fragen Sie mich nicht, wie Ideen entstehen! In genau diesem
Augenblick mußte ich nämlich an das kaputte Telefon in La Pergola denken.
Seit mehreren Tagen schon war die Leitung gestört. Präziser: seit dem 24.! Das
erfuhr ich später von der Haushälterin. Später erfuhr ich außerdem, daß die
Schriftstellerin rauschgiftsüchtig und Madeleine Poitevin ihre Dealerin war.“
„Was hat die Tänzerin denn mit der Geschichte zu
tun?“ ereiferte sich Pellegrini. „Hab gedacht, sie wär aus dem Schneider. Ist
sie aber anscheinend nicht, sonst würden Sie nicht darauf bestehen, sich mit
ihr zu
Weitere Kostenlose Bücher