Blüten, Koks und blaues Blut
Kree war zu der Zeit schon in seiner
Gewalt. Ihre Anwesenheit muß Milandres Mißtrauen gegenüber Raymonde, die er für
gefährlich hielt, nur noch verstärkt haben. Ein paar Stunden vorher erzählten
Sie ihm, Sie wollten unbedingt nach Marokko, und dann trifft er Sie bei einer
Frau, deren Verhalten eine Gefahr für die Geldfälscher darstellte.“
„In der Tat! Jetzt verstehe ich auch seine
lauernden Blicke!“
„Und am nächsten Tag sieht er Sie — so nehme ich
an — über Kree gebeugt stehen. Das hat ihm bestimmt nicht gefallen. Raymonde
war bereits so gut wie tot. Doch die Flics trieben sich in der Gegend rum, und
man hatte noch was sehr viel Dringenderes vor: Die Blüten-Druckerei mußte
versenkt werden! Zurück von der kurzen Reise auf hoher See, merkten sie, daß
der ,Fliegende Holländer“ stärker nach Druckerschwärze stank, als sie geglaubt
hatten. Dazu kam Defroys Artikel im Littoral. Hals über Kopf suchen sie
das Weite, lassen nur zwei Männer zurück... mit speziellen, eindeutigen
Aufträgen: Der Akrobat soll Raymonde umbringen, und Milandre, der sich mir als
alter Bekannter ohne weiteres nähern kann, soll mich in einen Hinterhalt locken
und ebenfalls beseitigen... Aber, sagen Sie, haben Sie Ihrer Freundin nicht
erzählt, daß Milandre Ihnen falsche Papiere besorgt hatte?“
„Dazu hatte ich keine Zeit. Soeben aus dem Knast
entlassen, konnte ich doch wohl schlecht den Moralapostel spielen. Außerdem
bekam Raymonde noch weiteren Besuch: Eine junge Frau, ihre Opiumlieferantin,
was ich zu spät erkannte. Als das Mädchen gegangen war, kriegten wir uns
deswegen in die Haare, und darüber vergaß ich dann André Milandre.“
„Können Sie mir die Opiumlieferantin
beschreiben?“ fragte ich. Chevalme lieferte eine präzise Beschreibung von
Madeleine Poitevin.
Die Rücklichter des Taxis verloren sich in der
Dunkelheit, und Marc Chevalme, der darin saß, verlor sich in seinen bitteren
Grübeleien. Ich ging zurück in das Schlafzimmer von Raymonde Saint-Cernin und
betrachtete kopfschüttelnd die Leiche der Schriftstellerin.
Mein Blick fiel auf eine zwei Meter hohe
Skulptur. Der einzige Schmuck in diesem schmucklosen Raum. Sie stellte eine
menschliche Gestalt und mehrere übereinanderliegende Tiere dar. Am Sockel hing
ein Etikett mit der Zahl 100. Daneben lag ein Buch. Es war ein illustrierter Kunstkatalog
mit dem Titel Skulpturen Ozeaniens. Das Stück primitiver Kunst, das ich
vor mich sah, war darin unter der Nr. 100 abgebildet. Sein Wert belief sich auf
i ooo Francs.
Ich wollte zum Telefon stürzen, erinnerte mich
aber noch rechtzeitig daran, daß es nicht funktionierte. So lästig diese
Störung auch war, sie hatte mich immerhin zu der Verbindung zwischen dem Grafen
und der Schriftstellerin geführt.
Ich verließ das Totenhaus, um zu einem anderen
zu gehen, dem von Marius Dufour. Der Wachposten erkannte mich wieder und ließ
mich das Telefon benutzen.
Pellegrini war zufällig im Hauptkommissariat.
Ich informierte ihn über den neuentdeckten Mord, was er mit einer weiteren
Kostprobe aus seiner Privatsammlung korsischer Flüche kommentierte. Er möge
doch bitte wieder mit seiner Mannschaft anrücken, bat ich ihn.
Ich legte auf und wählte die Nummer von Robert
de Fabrègues. Ich entschuldigte mich für die späte Störung und verlangte
Amélie, die tintenschluckende Köchin. Sie kam an den Apparat, so durcheinander
wie wahrscheinlich ihre Haare. Nach einigen Fragen, die ihre Gehirnzellen in
Gang bringen sollten, erkundigte ich mich, ob ihr ehemaliger Arbeitgeber in
letzter Zeit ein exotisches Stück aus seiner Kunstsammlung verkauft habe.
„Ja, M’sieur“, war die Antwort. „An der Stelle
ist jetzt ein leerer Fleck. Denken Sie nur, so eine Statue...“
Ich stellte mir vor, wie die Köchin eine
ausladende Armbewegung machte.
„Wann genau war das?“ fragte ich weiter. „Vor
dem 19. Juli?“
An jenem Tag hatte der Direktor des Kasinos den
Grafen in sein Büro gebeten, um sich mit ihm über den richtigen Umgang mit
falschen Banknoten zu unterhalten.
„Ja, M’sieur, vor dem 19.“
„Wem hat er die Skulptur verkauft?“
Das konnte mir Amélie nicht sagen. Spediteure
hätten die Figur abgeholt, und sie wisse das nur deshalb, weil Joseph sich an
dem Tag freigenommen und ihr die Aufgabe übertragen habe, den Abtransport zu
überwachen. Nein, mehr wisse sie nicht.
Mit dieser Information stellte ich mich draußen
an den Straßenrand, zündete mir eine Pfeife an und wartete auf
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