Blueten-Trilogie 03 - Fliedernachte
dafür sorgen, dass sie diesen Brief bekam – man musste an den Himmel glauben, um die Hölle zu überstehen.
Und sein Himmelreich wäre das Heim, das er für sich und für Eliza bauen und in dem er mit ihr bis ans Lebensende glücklich sein würde.
Jemand brüllte den Befehl, dass sie sich neu formieren und erneut in Richtung des verdammten Weges vorrücken sollten. Billy kniff die Augen zu, presste seine Lippen auf das Foto von Eliza und steckte es vorsichtig wieder ein. An seinem Herzen war es sicher, dachte er. Dort würde ihm bestimmt nichts geschehen.
Er rappelte sich auf und atmete so tief wie möglich ein. Er musste seine Pflicht gegenüber seinem Land erfüllen, auf Gott vertrauen und Lizzy wiederfinden.
Erneut stürmte er gegen den Feind, während ihm der mörderische Kugelhagel um die Ohren pfiff.
Immerhin war er noch am Leben, während die zerfetzten Leiber unzähliger Kameraden bereits das einst ruhige Farmland übersäten. Stunden kamen ihm wie Jahre, manchmal wiederum bloß wie Minuten vor, während der Vormittag verging. Der Stand der Sonne zeigte ihm an, dass abermals ein Morgen überstanden war. Ohne zu zögern, tat er weiter seinen Dienst, Schulter an Schulter mit den vielen anderen, die einen Fahneneid geleistet hatten.
Sie rannten weiter, kletterten über Zäune und durchquerten einen Apfelgarten, in dem Bienen das Fallobst umschwirrten, und erreichten schließlich eine Anhöhe, von der sie auf den Hohlweg hinuntersehen konnten. Von oben kommend, durchbrachen sie die gegnerische Linie, doch als sie den Rand des Weges erreichten, riss Billy ungläubig die Augen auf.
Die unzähligen Toten wirkten irgendwie nicht real und geradezu obszön. Sie waren wie Brennholz aufgestapelt, und dennoch feuerten die Männer, die noch lebten, immer weiter, schienen wild entschlossen, keinen Fußbreit dieser blutgetränkten Erde herzugeben.
Warum? Warum nur? Doch nur ein Teil seines Verstands fragte sich das – jener, der noch zur Trauer fähig war. Der andere Teil befolgte automatisch den nächsten Schießbefehl. Dachte an George und kam ihm nach. Nahm einer Mutter ihren Sohn, einer Frau ihren Geliebten.
Raubte einem anderen Mann das Leben, der genau wie er bloß nach Hause wollte, fort von diesem Grauen ringsum.
Er dachte an Lizzy, deren Bild er dicht an seinem Herzen trug. Lizzy, die ihn liebte und die auf ihn wartete. Trotz alledem.
Und dann fiel ihm seine Mutter ein, die um seinen Bruder Joshua weinte, der vor ein paar Monaten gefallen war.
In diesem Moment brachte er es nicht mehr über sich, eine weitere Salve abzufeuern, einen weiteren Mann zu töten und abgrundtiefes Leid über die Frau zu bringen, die ihn geboren hatte.
Das hier war ein furchtbares Gemetzel, dachte er. Hunderte von Männern waren bereits tot, und Aberhunderte würden folgen. Bauern, Schmiede, Steinmetze und Krämer. Warum gaben sie nicht einfach auf? Warum setzten sie dieses sinnlose Sterben und Töten fort? Auf diesem Land, das für viele Heimat und für andere Fremde bedeutete.
Gebot dies tatsächlich die Ehre? War dies wirklich ihre Pflicht? Ihm wurde schlecht, als er das fürchterliche Blutbad unterhalb des Hügels sah, und erschöpft, angeekelt und mit gebrochenem Herzen legte er die Waffe aus der Hand.
Er spürte nicht, wie ihn die beiden Kugeln trafen. Ihm war einfach plötzlich furchtbar kalt, und er merkte, dass er wieder auf der Erde lag und in den Himmel sah.
Ihm war, als ziehe gerade eine dichte Wolkenwand vor die Sonne. Alles wurde grau und flach, während der Lärm verebbte und zum ersten Mal an diesem Tag ein Gefühl der Ruhe und des Friedens in ihm aufstieg.
War es vorbei? War es endlich vorbei?
Er schob eine Hand in seine Uniform, tastete nach Lizzys Bild, starrte auf ihr blutverschmiertes, liebliches Gesicht.
Und begriff, was geschehen war.
Urplötzlich wusste er Bescheid.
Während das Blut aus seinen Wunden strömte, breitete der Schmerz sich mit einem Mal schockartig in seinem Körper aus. Er schrie dagegen an in unerträglichem Leid.
Niemals würde er ihr ein hübsches Steinhaus neben dem sanft dahinfließenden Fluss bauen, an dessen Ufern wildes Geißblatt wuchs – und niemals könnten sie ein Haus mit Leben, Liebe und Kindern füllen.
Er hatte seiner Pflicht gehorcht und sein Leben verloren. Vergeblich bemühte er sich, Lizzys Gesicht ein letztes Mal zu küssen – das Foto flatterte aus seiner erschlaffenden Hand.
Billy dachte an seinen Eid, der ihm nun den Tod brachte. Aber auch ihr
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